Medizinforschungsgesetz Stellungnahme vom 10.06.2024 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Entwurf eines Medizinforschungsgesetzes vom 29.05.2024
1 Vorbemerkung
Das IQWiG unterstützt weiterhin die Zielrichtung weiter Teile des vorgelegten Entwurfs des Medizinforschungsgesetzes. Insbesondere begrüßen und unterstützen wir Änderungen, die die Generierung hochwertiger Evidenz für Entscheidungen im Gesundheitssystem in Deutschland fördern. Wir möchten dabei nochmals betonen, dass die Evidenzgenerierung nicht nur die die Planung, Genehmigung und Durchführung einschließlich Auswertung der Studie umfasst, sondern auch die unverzerrte Veröffentlichung der Studienergebnisse. Unter diesem Verständnis gehen wir im folgenden insbesondere auf diejenigen Punkte nochmals ein, die auch nach Überarbeitung des Referentenentwurfs im vorliegenden Entwurf des Medizinforschungsgesetzes das Ziel einer hochwertigen Evidenzgenerierung nicht oder nicht ausreichend adressieren oder aufgrund möglicher unbeabsichtigter Wirkungen potenziell gefährden. Zusätzlich gehen wir nochmals auf die weiterhin geplante Vertraulichkeit der Erstattungsbeträge für neue Arzneimittel ein.
2 Spezialisierte Ethikkommission: Unabhängigkeit und Transparenz nicht gewährleistet, unerwünschte Nebeneffekte wahrscheinlich
Im vorliegenden Gesetzentwurf ist weiterhin geplant, eine Ethikkommission beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einzurichten. Die spezialisierte Ethikkommission (vormals Bundesethikkommission) soll insbesondere für spezielle Fälle von Arzneimittelstudien sowie teilweise auch Studien mit Medizinprodukten zuständig sein. Wir unterstützen weiterhin Maßnahmen zur Harmonisierung und Standardisierung im Bereich der ethischen Beurteilung einer geplanten Studie sowie zur Spezialisierung von Ethikkommissionen. Gegen die Einrichtung einer spezialisierten Ethikkommission beim BfArM spricht aber weiterhin, dass damit unter dem Dach derselben Institution die Genehmigung, die ethische Bewertung und ggf. auch die Bewertung nach Studienende durchgeführt werden. Nochmals verweisen möchten wir auf das 2019 abgeschlossene Verfahren zur Europäischen Zulassungsbehörde EMA bei der europäischen Ombudsfrau [1]. In diesem wurde unter anderem die Frage betrachtet, welchen Einfluss die Durchführung von Beratung (scientific advice) und Bewertung einer Studie unter einem Dach haben kann. Die Empfehlungen an die EMA umfassten damals sowohl organisatorische Maßnahmen zur Gewährleistung der Trennung von „Beratern“ und „Bewertern“ als auch Maßnahmen zur Gewährleistung der Transparenz von Verfahren, Methoden und Entscheidungen. Beide Maßnahmenpakete sind im vorliegenden Gesetzesentwurf des Medizinforschungsgesetzes weiterhin nicht adressiert, sie sind auch gerade nicht durch die alleinige Vorgabe einer selbst zu gebenden Geschäftsordnung gewährleistet. Es sollte zudem nochmals überdacht werden, die bereits vorhandenen Strukturen für die sinnvolle Spezialisierung der Ethikkommissionen zu nutzen, ohne dass zusätzlich eine spezialisierte Ethikkommission beim BfArM eingerichtet wird. Ein wesentliches Argument hierfür ist insbesondere die Vermeidung potenziell unerwünschter Nebeneffekte. Denn es ist davon auszugehen, dass die Einrichtung einer spezialisierten Ethikkommission beim BfArM zu einem geringeren Aufgabenbereich und zu einer geringeren Bedeutung der übrigen Ethikkommissionen führen wird. Ressourcen und Expertise für die Beurteilung von Studien, die nicht im Aufgabenbereich der spezialisierten Ethikkommission beim BfArM liegen, werden daher potenziell nicht mehr in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Dies umfasst insbesondere Studien, in denen weder Arzneimittel noch Medizinprodukte untersucht werden (im Weiteren Non-Non-Studien genannt). In Verbindung mit den im Medizinforschungsgesetz insgesamt fehlenden Regelungen zu diesen Studien führt dies zu einer doppelten Schwächung dieser Studien und des Studienstandorts Deutschland.
3 Veröffentlichung von Studienergebnissen als Kernelement effizienter Forschung gewährleisten
Wie einleitend beschrieben umfasst die Generierung hochwertiger Evidenz neben der Planung, Genehmigung, Durchführung und Auswertung der Studie auch die uneingeschränkte Veröffentlichung der Studienergebnisse. Es gibt kaum ineffizientere Forschung als solche, für die viele Ressourcen zur Durchführung aufgewendet und gebunden werden, deren Ergebnisse jedoch durch Nicht-Veröffentlichung nicht zum Erkenntnisgewinn beitragen. Erst kürzlich hat eine institutionell übergreifende Initiative zur Studientransparenz auf die bestehenden Defizite bei der Registrierung von Studien und der Publikation von Studienergebnissen in Deutschland hingewiesen und Wege zur Verbesserung aufgezeigt [2]. Auch wir haben in unserer Stellungnahme zum Referentenentwurf Optionen zur niederschwelligen öffentlichen Bereitstellung der Studienergebnisse sowie von Studiendokumenten wie Studienprotokoll und statistischem Analyseplan in einem Studienregister aufgezeigt. Angesichts der hohen Kosten und des hohen Aufwands, den die Durchführung einer Studie ohnehin mit sich bringt, sollte ein zusätzlicher Aufwand selbst von einigen Arbeitstagen für die Bereitstellung dieser Dokumente kein Gegenargument sein. Die Studienregistrierung wird auch von dem International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) gefordert [3]. In den Empfehlungen des ICMJE ist überdies klargestellt, dass die Publikation der Studienergebnisse in einem Studienregister eine anschließende Publikation in einem Peer-Reviewed-Journal nicht verhindert [3]. Die Registrierungs- und Publikationspflicht ist auch in Artikel 35 und 36 der Deklaration von Helsinki verankert [4]. Nur die uneingeschränkte Veröffentlichung von Studieninformationen und -ergebnissen kann schließlich dem Ziel gerecht werden, aufgrund dessen die Probandinnen und Probanden einer Studienteilnahme zugestimmt haben: Einer Verbesserung der Versorgung für zukünftige Betroffene durch Erkenntnisgewinn. Dieses Ziel sollte auch das Medizinforschungsgesetz verfolgen und daher eine Registrierungs- und Publikationspflicht gesetzlich verankern. Mindestens sollten diese Punkte jedoch in den Standardvertragsklauseln nach § 42d SGB V vorgeschrieben werden. § 42d SGB V sollte daher wie folgt geändert werden:
- Ergänzung eines neuen Absatz (2):
„(2) Die Standardvertragsklauseln nach Absatz 1 sollen auch Vorgaben zur zeitnahen Registrierungs- und Publikationspflicht enthalten.“ - Der bisherige Absatz (2) wird zu Absatz (3).
4 Regelungen zur Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags streichen
Der Gesetzentwurf zum Medizinforschungsgesetz enthält weiterhin die Möglichkeit für pharmazeutische Unternehmen, den gemäß §130 b SGB V festgelegten oder vereinbarten Erstattungsbetrag abweichend von § 131 Abs. 4 Satz 3 Nummer 2 nicht zu übermitteln. Das IQWiG sieht diese Regelung weiterhin kritisch und schlägt daher erneut vor, alle Änderungen im Zusammenhang mit dieser Regelung ersatzlos zu streichen. Zwar wurde im Vergleich zum Referentenentwurf durch Einfügung eines neuen Absatz (4c) in § 130b SGB V die Übermittlung der geltenden Erstattungsbeträge an das IQWiG und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ermöglicht. Dadurch kann diese Information bei der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V zwar verwendet, allerdings weiterhin nicht veröffentlicht werden. Sie ist daher weder für eine öffentliche Stellungnahme im Verfahren noch für die Umsetzung des G-BA-Beschlusses, z.B. im Rahmen einer wirtschaftlichen Verordnung durch die Vertragsärztinnen und -ärzte, zugänglich. Darüber hinaus bleibt der im Medizinforschungsgesetz verankerte Vorschlag vertraulicher Erstattungsbeträge problematisch, weil hierdurch europaweite Auswirkungen der deutschen Nutzenbewertung unterbunden und gemeinsame europäische Zielsetzungen gefährdet werden. Es sei nochmals betont, dass ein in Deutschland vertraulicher Erstattungsbetrag ein wichtiges Ziel der ab 2025 beginnenden europäischen Nutzenbewertung konterkariert – nämlich gleiche Chancen für die Versorgung mit Arzneimitteln für alle Menschen in Europa zu erreichen, indem neue Arzneimittel mit Zusatznutzen in den europäischen Ländern mit derzeit unzureichender Versorgung zukünftig verfügbar gemacht werden. Dadurch entsteht absehbar für die pharmazeutische Industrie auch ein negativer Effekt durch dauerhaft höheren Aufwand, da die unterschiedlichen Versorgungsstandards in den Mitgliedsstaaten im europäischen Nutzendossier adressiert werden müssen. Aus Sicht des IQWiG werden daher mit einem vertraulichen Erstattungsbetrag die Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie zukünftig nicht gestärkt, sondern geschwächt.
5 Eine öffentlich wirksame Kampagne zum Wert von Studien und der Teilnahme an Studien starten
Mit der Verabschiedung eines Medizinforschungsgesetzes besteht die Chance, parallel Maßnahmen zur Kommunikation des Wertes von Studien als solchen und einer damit verbundenen Teilnahme an Studien einzuleiten. Sofern hierzu entsprechende
Informationsmaterialien erarbeitet und bereitgestellt werden sollen, z.B. zentral über die Website gesund.bund.de und/oder mittels einer Informationskampagne über vielfältige Kanäle, bietet das IQWiG nochmals an, dies mit seiner Expertise zur Erstellung von Informationen sowohl in einfacher Sprache wie Leichter Sprache als auch der Frage der Adressierung schwer erreichbarer Zielgruppen zu unterstützen.
6 Ergänzung in §139 a SGB V (Aufgaben des IQWiG): Unterstützung des G-BA bei Fragen zur Studienplanung
Das Aufgabenspektrum des G-BA wurde in den letzten Jahren zunehmend auf Fragen zur Studienplanung ausgeweitet, insbesondere im Zusammenhang mit der anwendungsbegleitenden Datenerhebung gemäß §35 a Abs. 3b SGB V sowie der Planung von Erprobungsstudien gemäß §137 e SGB V. Das IQWiG wird hierbei vom G-BA regelhaft zur Unterstützung beauftragt, z. B. mit der Erstellung von Konzepten für eine anwendungsbegleitende Datenerhebung oder der Prüfung von Studienprotokollen und
statistischen Analyseplänen. Wir schlagen nochmals vor, diese Aufgabe mit Bezug zur Evidenzgenerierung anlässlich des Medizinforschungsgesetzes explizit ins Aufgabenspektrum des IQWiG in § 139a Abs. 3 aufzunehmen, und zwar durch einen neuen Unterpunkt 9 wie folgt (Änderungen kursiv):
(3) Das Institut wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen insbesondere auf folgenden Gebieten tätig:
1. Recherche, Darstellung und Bewertung des aktuellen medizinischen Wissensstandes zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren bei ausgewählten Krankheiten,
2. Erstellung von wissenschaftlichen Ausarbeitungen, Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen unter Berücksichtigung alters-, geschlechts- und lebenslagenspezifischer Besonderheiten,
3. Recherche des aktuellen medizinischen Wissensstandes als Grundlage für die Entwicklung oder Weiterentwicklung von Leitlinien,
4. Bewertungen evidenzbasierter Leitlinien für die epidemiologisch wichtigsten Krankheiten,
5. Abgabe von Empfehlungen zu Disease-Management-Programmen,
6. Bewertung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln,
7. Bereitstellung von für alle Bürgerinnen und Bürger verständlichen allgemeinen Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung sowie zu Diagnostik und Therapie von Krankheiten mit erheblicher epidemiologischer Bedeutung,
8. Beteiligung an internationalen Projekten zur Zusammenarbeit und Weiterentwicklung im Bereich der evidenzbasierten Medizin,
9. Unterstützung bei der Studienplanung, insbesondere Erstellung von Konzepten zur Studienplanung und Bewertung von Studienplanungsdokumenten.
Literatur
1) Ombudsman inquiry strengthens transparency and objectivity of EMA's assessment of new medicines. Case OI/7/2017/KR. Entscheidung vom 17.07.2019. URL: https://www.ombudsman.europa.eu/en/case/en/49999
2) Bündnis Transparenz in der Gesundheitsforschung. Unveröffentlichte Studienergebnisse gefährden die evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (Mai 2024). https://www.cochrane.de/positionspapier-buendnis-transparenz
3) International Committee of Medical Journal Editors. Recommendations für the Conduct, Reporting, Editing, and Publication of Scholarly work in Medical Journals (January 2024). https://icmje.org/icmje-recommendations.pdf
4) World Medical Association. Ethical Principles for Medical Research involving Human Subjects. Last Amendment: 64th General Assembly, Fortaleza, Brazil, October 2013. https://www.wma.net/policies-post/wma-declaration-of-helsinki ethical-principles-formedical-research-involving-human-subjects/