Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit - Stellungnahme zum Regierungsentwurf

14.10.2024

1. Vorbemerkung

Mit dem vorgelegten Entwurf der Bundesregierung des „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ soll ein Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM, im weiteren Bundesinstitut) errichtet werden, um die Öffentliche Gesundheit institutionell und inhaltlich zu stärken. Das IQWiG begrüßt diese Zielsetzung.

Das IQWiG nimmt zu dem zugrundeliegenden Entwurf der Bundesregierung nachfolgend zu Aspekten Stellung, die sich aus den in §139a SGB V definierten Aufgaben des Instituts ableiten oder die aus Sicht des IQWiG von grundlegender Bedeutung für eine sind.

2. Allgemeine Hinweise

Der Entwurf beschreibt wie schon der Referentenentwurf in den einführenden Erläuterungen und den nachfolgenden Begründungen eine Vielzahl von weitreichenden Unterzielen und Umsetzungsplänen. Diese weiteren Ziele sind im Entwurf der gesetzlichen Regelungen selbst jedoch nicht konkret formuliert, sodass der Weg zur Umsetzung weitgehend offenbleibt.

Unklar bleibt weiterhin, wie die konkrete Abgrenzung der Zuständigkeiten des zukünftigen Bundesinstituts von denen des Robert-Koch-Instituts (RKI) vorgenommen werden soll. Wir sehen eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen einerseits dem Ziel eines „Health-in-all-Policies“-Ansatzes und anderseits der Abgrenzung der beiden Zuständigkeiten für „nicht übertagbare Krankheiten“ und für „übertragbare und mit ihnen in Zusammenhang stehende nicht übertragbare Krankheiten“. Um angesichts dieser Abgrenzung einen „Health-in-all-Policies“-Ansatz erfolgreich umzusetzen, wird eine ständige und weitreichende Abstimmung der beiden Institute erforderlich sein.

Zudem hat die SARS-CoV-2-Pandemie gezeigt, dass es starke Abhängigkeiten zwischen übertragbaren und nicht übertragbaren Erkrankungen gibt, z. B. weil das individuelle Gesundheitsrisiko durch übertragbare Krankheiten stark von der Anwesenheit nicht übertragbarer Vorerkrankungen abhängt. Die Menschen, die beispielsweise in Deutschland Lebensjahre durch kardiovaskuläre Krankheiten und Krebs verlieren, leben in der Regel mehrere Jahre bis Jahrzehnte mit den Krankheiten, an denen sie schließlich sterben. Eine Umsetzung von Health-in-all-Policies bedeutet, dass für relevante Gruppen und Szenarien übertragbare und nicht übertragbare Krankheiten in ihren Wechselwirkungen und zusammen betrachtet werden sollten.

Im Regierungsentwurf ist die Ausrichtung „insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen“ weiterhin enthalten und wird noch geschärft. Gerade bei diesen Gruppen sind in der Regel soziale und verschiedene gesundheitliche Belastungen (übertragbar und nicht übertragbar) eng miteinander verwoben, die einen übergreifenden Ansatz erfordern. Sofern die Trennung der Zuständigkeiten des zukünftigen BIPAM von denen des RKI beibehalten wird, sollte die Koordination der notwendigen engen Zusammenarbeit von RKI und dem neuen Bundesinstitut konkret geregelt werden.

3. Zweck und Aufgaben des Bundesinstituts

Der Zweck des Bundesinstituts ist in §1 Absatz 2 des Entwurfes wie folgt formuliert (Spiegelstriche ergänzt):

„Zweck der Errichtung des Bundesinstituts ist die

  • Zusammenführung und Neuordnung von Maßnahmen und Aktivitäten im Bereich der Öffentlichen Gesundheit im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit,
  • die freiwillige Vernetzung von Akteuren der Öffentlichen Gesundheit und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes mit weiteren Akteuren, sowie
  • die Stärkung der Kommunikation und
  • der Forschung in den in der Zuständigkeit des Bundes liegenden Aufgaben auf dem Gebiet der Öffentlichen Gesundheit.“

Dieser Zweck schlägt sich auf in den in §2 Absatz 2 des Entwurfs formulierten Aufgaben wieder (Zitat):

§2 (2) Das Bundesinstitut nimmt Aufgaben nach Absatz 1 insbesondere auf folgenden Gebieten wahr:

  1. Beobachtung von gesundheitsrelevanten Faktoren und von gesundheitlichen Rahmenbedingungen,"
  2. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, einschließlich Gesundheitsmonitoring,
  3. Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, durch freiwillige Kooperation und Vernetzung mit Akteuren der Öffentlichen Gesundheit,
  4. evidenzbasierte, zielgruppenspezifische, insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Kommunikation im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit,
  5. Stärkung der Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten sowie Stärkung der Gesundheitsförderung und der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, jeweils im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes,
  6. wissenschaftliche Forschung und Zusammenarbeit mit Institutionen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene, einschließlich der Unterstützung dieser Institutionen bei der Entwicklung von Leitlinien und Standards.

3.1 Vernetzung der Akteure

Auf Grundlage seiner in §139 SGB V formulierten gesetzlichen Aufgaben gehört das IQWiG zu den angesprochenen „weiteren Akteuren“. Große Teile der Arbeit des IQWiG fassen die aktuelle zur Diagnose und Therapie von übertragbaren und nicht-übertragbaren Erkrankungen zusammen, zum Beispiel in Form von Nutzenbewertungen, Leitliniensynopsen und Evidenzrecherchen. Zudem stellt das IQWiG evidenzbasierte, allgemeinverständliche Gesundheitsinformationen und Entscheidungshilfen zu einem umfassenden Katalog von Erkrankungen zur Verfügung.

Diese Arbeit ist schon jetzt von hoher Relevanz für die Öffentliche Gesundheit und sollte regelhaft für die Ziele des Bundesinstituts genutzt werden. Das IQWiG unterstützt deshalb die Idee der Vernetzung. Wir gehen jedoch davon aus, dass der im Entwurf formulierte Ansatz der „Freiwilligkeit“ nicht ausreicht, um die formulierten Ziele zu erreichen, weil die „weiteren Akteure“ – auch wenn sie die Ziele unterstützen – zwangsläufig in ihrem Engagement begrenzt bleiben müssen.

Das Gesetz sollte wesentliche „weitere Akteure“ benennen. Die Erwartungen an die Akteure und die dafür erforderlichen Aufwände der Akteure sollten mindestens benannt und besser untere „Weitere Kosten“ geschätzt und angegeben werden.

3.2 Weitere Aufgaben des BIPAM

Der Entwurf beschreibt in der Begründung als einen von 4 Themenschwerpunkten des Bundesinstituts „Daten, Digitalisierung und Forschung“. Darin wird festgehalten, dass „diese Aufgaben […] von sachbezogenen Forschungsprojekten begleitet [werden], die eng mit der nationalen, europäischen und internationalen Forschungslandschaft verknüpft werden.“

Zudem wird das Institut eine Ressortforschungseinrichtung des Bundes, die „betreibt, initiiert und koordiniert Forschung und Entwicklung mit dem Ziel des Schutzes und der Förderung der Gesundheit“.

Damit setzt das Gesetz den Rahmen für eine gemeinwohlorientierte Forschungsagenda zum Beispiel im Rahmen des vorgesehenen nationalen und internationalen Netzwerks. Hierbei könnte angedacht werden, dass durch das Bundesinstitut Aufträge zur Forschung zu den Agendapunkten des Bundesinstituts vergeben werden können, wobei diese Forschung zur Förderung der Gesundheit auch interventionelle, pragmatische Studien in den von BIPAM mitverantworteten Datenstrukturen umfassen sollte. Als Beispiele für eine solche Forschung in einem typischen Anwendungsfeld des Bundesinstituts kann die RECOVERY-Studie aus UK (Plattform-RCT) zur aufwandsarmen, zeitnahen und ergebnissicheren Erforschung von Therapieoptionen in Krisenzeiten (SARS-CoV2-Pandemie) genannt werden. Ein weiteres Beispiel ist das RECOVER-Programm des National Institute of Health (NIH), das ebenfalls auch interventionelle Studien für den Off-Label-Einsatz von Therapien, hier bei Post-Covid, untersucht. Diese Beispiele zeigen, wie die Behandlung in unbekannten Themenfeldern nicht nur möglich gemacht, sondern mit der Generierung hochwertiger verknüpft werden kann. Damit könnten auch wirksame von nicht wirksamen (Off-Label-)Therapien frühzeitig unterschieden werden, sodass eine zeitnahe Nachsteuerung in der Behandlung und der Studiendurchführung gewährleistet ist.

3.3 Nutzung des Gesundheitspanels durch andere Institutionen

Gemäß der Begründung im Gesetzentwurf sind die ergänzende Generierung, Standardisierung, Digitalisierung, interoperable Verknüpfung und Bereitstellung von Daten eine wesentliche Aufgabe des Bundesinstituts. Dabei ist auch eine enge Zusammenarbeit mit dem Forschungsdatenzentrum im RKI vorgesehen. Das IQWiG begrüßt den Aufbau eines digitalen Gesundheitspanels zur Erhebung von epidemiologischen Daten. Der Aufbau eines umfangreichen Datenmanagements ist kostenintensiv. Eine Bereitstellung für gemeinwohlorientierte Forschung anderer Institutionen wird daher dringend empfohlen.

4. Evidenzbasierte Kommunikation und Regierungsberatung

Das Bundesinstitut soll laut Begründung des Entwurfs in seiner Tätigkeit umfassend evidenzbasiert sein. Das umfasst zum Beispiel:

  • eine „evidenzbasierte, zielgruppenspezifische, insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Kommunikation“ (§2, Absatz 2, Satz 4)
  • die Überführung von systematischen Datenanalysen in „evidenzbasierte und nachhaltige Konzepte zur Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit“
  • die „effektive und evidenzbasierte Aufgabenwahrnehmung“
  • „verbesserte und zielgerichtete Gesundheitsaufklärung sowie […] evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen“.

Für die so definierte evidenzbasierte Aufgabenwahrnehmung sind folgende übergreifende Aspekte essentiell und sollten daher gesetzlich verankert werden:

  • Festlegung der Methoden des Bundesinstituts unter Berücksichtigung internationaler methodischer Standards
  • Wissenschaftliche Unabhängigkeit
  • Transparente Darstellung der Entscheidungsgrundlagen und der Unsicherheiten

Diese Aspekte werden im Folgenden erläutert.

4.1 Festlegung der Methoden des Bundesinstituts unter Berücksichtigung internationaler methodischer Standards

Der Evidenzbasierung der wissenschaftlichen Arbeit, der Kommunikation, der Leitlinienerstellung und der Regierungsberatung sollten die jeweiligen internationalen methodischen Standards zugrunde liegen. Diese Standards sollten in einem Methodenpapier veröffentlicht werden, das regelmäßig aktualisiert und einem öffentlichen Stellungnahmeverfahren unterzogen wird.

Diese Verpflichtung sollte gesetzlich verortet werden, zum Beispiel in einem zusätzlichen Paragrafen. Ein Beispiel für eine entsprechende Rahmensetzung gibt §139a SGB V, Absatz 4.

4.2 Wissenschaftliche Unabhängigkeit

Das Bundesinstitut soll der Aufsicht des BMG unterstehen. In der Gesetzesbegründung wird präzisiert, dass dies die Dienst-, Fach- und Rechtsaufsicht umfasst.
Insbesondere für eine evidenzbasierte Aufgabenwahrnehmung und Regierungsberatung ist es wichtig, dass das Bundesinstitut in seiner Arbeit unabhängig und primär den oben angesprochenen wissenschaftlichen Standards verpflichtet ist. Diese primäre Verpflichtung sollte gesetzlich verankert werden.

4.3 Transparente Darstellung der Entscheidungsgrundlagen und der Unsicherheiten

Sowohl die methodischen Standards, als auch die Arbeitsergebnisse, Entscheidungsgrundlagen und Empfehlungen sollten in angemessenen Formaten und Fristen veröffentlich werden. Der Erstellungsprozess sollte auf Basis vorab festgelegter Methoden erfolgen und transparent und nachvollziehbar dargelegt werden. Besondere Bedeutung bei der Darstellung der Arbeitsergebnisse und Empfehlungen hat die transparente Darstellung von bestehenden Unsicherheiten und von Maßnahmen zum Umgang mit diesen Unsicherheiten. Bei kurzfristig notwendigen Empfehlungen, die in größerer Unsicherheit getroffen werden müssen, sollten dann zum Bespiel Maßnahmen zur schnellen Behebung der Unsicherheiten verpflichtend vorgeschlagen werden. Das können je nach Situation zum Beispiel interventionelle Studien, Beobachtungsstudien oder Literaturanalysen sein.

Die beschriebene Pflicht zur Transparenz sollte ebenfalls gesetzlich verankert werden. Ein Beispiel für eine entsprechende Rahmensetzung gibt §139a SGB V, Absatz 5.