Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) Stellungnahme vom 21.05.2024 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum Referentenentwurf der Novelle des GIGV vom 12.04.2024
1 Vorbemerkung
Mit dem vorgelegten Referentenentwurf der Novelle der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung (GIGV) soll der Interoperabilitätsprozess im deutschen Gesundheitswesen ganzheitlich und sektorenübergreifend koordiniert und orchestriert werden. Das IQWiG begrüßt diese Zielsetzung.
Das IQWiG ist im bisherigen IOP-Expertenkreis vertreten und hat im Rahmen verschiedener Arbeitskreise die Beratungen und Genese von Empfehlungen mitverfolgt.
Das IQWiG nimmt zu dem zugrundeliegenden Referentenentwurf nachfolgend zu Aspekten Stellung, die sich aus den in §139a SGB V definierten Aufgaben des Instituts ableiten.
2 Berücksichtigung der Bedarfe von Bürgerinnen und Bürgern
Mit der Verordnung soll die bisherige „Koordinierungsstelle für Interoperabilität im Gesundheitswesen“ in ein „Kompetenzzentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen“ überführt werden. Damit verbunden ist eine (a) deutliche Ausweitung der Aufgaben (von 12 auf 19, §2 GIGV-Novelle), (b) die zentrale Identifikation und Priorisierung von Bedarfen und insgesamt (c) eine Stärkung der Verbindlichkeit der Arbeitsergebnisse des Kompetenzzentrums.
Stark erweitert wird in §2 GIGV-Novelle, Satz (2) auch die Aufgabe 1: „Identifikation der Bedarfe an Anforderungen, Richtlinien und Leitlinien von technischen, semantischen und syntaktischen Standards, Profilen, Leitfäden, Informationsmodellen, Referenzarchitekturen und Softwarekomponenten unter Berücksichtigung europäischer Anforderungen und internationaler Standards“.
Bisher lautete die Aufgabe „Identifikation der Bedarfe an Anforderungen, Richtlinien und Leitlinien von technischen, semantischen und syntaktischen Standards, Profilen und Leitfäden unter Berücksichtigung europäischer Anforderungen und internationaler Standards“.
Mit der Aufnahme von „Informationsmodellen, Referenzarchitekturen und Softwarekomponenten“ wird das Kompetenzzentrum stärker als heute auch Anwendungsfälle und Bedarfe berücksichtigen müssen, die sich durch die Nutzung verschiedener digitaler Anwendungen durch Bürgerinnen und Bürger ergeben.
Die Anwender-Gruppe der Bürgerinnen und Bürger hat heterogene Kompetenzen und technische Möglichkeiten. Sie benötigt insbesondere einen Bedarf an ergänzenden Daten und Informationen, die primär nicht von Leistungserbringenden nach §1 GIGV-Novelle zur Verfügung gestellt werden.
In der vorliegenden Novelle ist nicht zu erkennen, wie diese Bedarfe berücksichtigt werden sollen. Gerade wegen der höheren Verbindlichkeit, die die Festlegungen des Kompetenzzentrums bekommen sollen, wäre es verfehlt, wenn Bedarfe, die für eine Akzeptanz und breite Nutzung der digitalen Anwendungen in der Bevölkerung wichtig sind, nicht berücksichtigt werden.
Um das zu vermeiden, schlagen wir folgende 3 Ergänzungen der GIGV-Novelle vor.
2.1 Festlegung und Kommunikation der zugrunde liegenden Use-Cases
Das IQWiG geht davon aus, dass der Identifikation der „Bedarfe“ nach §2 Satz 2.1 GIGV-Novelle definierte Anwendungsfälle (Use-Cases) zugrunde liegen, für deren Umsetzung dann die Anforderungen etc. identifiziert werden können. Wir sehen die Notwendigkeit, diese Use-Cases explizit daraufhin zu überprüfen, welche Konsequenzen sich für eine Nutzung durch Bürgerinnen und Bürger ergeben.
So ist zum Beispiel abzusehen, dass viele Gesundheitsdaten, die über die elektronische Patientenakte (ePA) interoperabel zwischen Leistungserbringern ausgetauscht werden, für Bürgerinnen und Bürger beim Zugriff auf ihre ePA nicht unmittelbar verständlich sind oder nicht eingeordnet werden können. Hier besteht dann ein unmittelbarer Bedarf an ergänzenden Gesundheitsinformationen, also zum Beispiel an allgemeinverständlichen Erläuterungen, Hinweisen und Vertiefungen zu Diagnosen, Befunden und Fachbegriffen, um die Gesundheitsdaten verstehen und einordnen zu können.
Wichtig ist aus Sicht des IQWiG, dass das Kompetenzzentrum bei der Identifikation von Bedarfen früh und konsequent beachtet, dass solche ergänzenden Gesundheitsinformationen ebenfalls interoperabel zur Verfügung gestellt, eingebunden und ausgetauscht werden können. Auch dazu müssen Standards entwickelt und verbindlich definiert werden.
Zu beachten ist dabei, dass solche Gesundheitsinformationen von Institutionen wie dem IQWiG zur Verfügung gestellt und gepflegt werden, die bislang nicht im Fokus der GIGV-Novelle stehen. Beispielsweise stehen mit den auf Basis des §139a SGB V vom IQWiG bereitgestellten Gesundheitsinformationen und den Inhalten des nationalen Gesundheitsportals nach §395 SGB V bereits Angebote für ergänzende Gesundheitsinformationen zur Verfügung.
Das IQWiG schlägt vor:
In Aufgabe 1 explizit zu berücksichtigen, dass
(a) der Identifikation der Bedarfe definierte und kommunizierte Use-Cases zugrunde liegen sollen, für die dann Anforderungen etc. identifiziert werden können, und
(b) dabei Use-Cases der Nutzung durch Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden, inklusive der Konsequenzen, die sich daraus für die Ableitung von Anforderungen etc ergeben.
Wir schlagen deshalb folgende Formulierung der Aufgabe 1 vor (Ergänzungen gefettet):
- 1 Definition der Anwendungsfälle und Identifikation der sich daraus ergebenden Bedarfe an Anforderungen, Richtlinien und Leitlinien von technischen, semantischen und syntaktischen Standards, Profilen, Leitfäden, Informationsmodellen, Referenzarchitekturen und Softwarekomponenten unter Berücksichtigung betroffener Nutzergruppen, europäischer Anforderungen und internationaler Standards“
2.2 Zusammensetzung des IOP-Expertenkreises
Zur Berücksichtigung der Bedarfe von Bürgerinnen und Bürgern ist eine stärkere Verankerung der Perspektive an verschiedenen Stellen des zukünftigen Kompetenzzentrums sinnvoll. Dazu gehört der IOP-Expertenkreis nach §4 GIGV-Novelle. Bereits bisher war die Mitarbeit von Patientenorganisationen möglich nach Satz (4) Nr. 7. Allerdings sind Patientenorganisationen in einer Kategorie mit „wissenschaftlichen Einrichtungen“ zusammengefasst. Da die Kompetenzen und spezifischen Beiträge von „Patientenorganisationen“ und „wissenschaftlichen Einrichtungen“ in Arbeitsgruppen sehr unterschiedlich sein können, ist diese Gruppierung inhaltlich nicht sinnvoll und verhindert zudem eine transparente Darstellung, wie gut sich Patientenorganisationen wirklich beteiligen. Darüber hinaus sollten die Beteilung von Patienten- und auch Verbraucherorganisationen explizit gefördert werden.
Das IQWiG schlägt vor,
diese Kategorien in §4 GIGV-Novelle aufzutrennen in „7. Wissenschaftliche Einrichtungen“ und „8. Patienten- und Verbraucherorganisationen“ und über die Beteilung dann auch öffentlich getrennt zu berichten.
2.3 Kompetenzaufbau und Wissensplattform
Die Novelle enthält auch einen deutlichen Ausbau der Wissensplattform nach §6 GIGV-Novelle. Darunter ist der neue Punkt 12 „Informationen, die zur Kompetenz- und Wissensbildung für Sachverhalte der Interoperabilität im Gesundheitswesen dienen“.
Das IQWiG schlägt vor:
Die in dieser Stellungnahme angeregte Erweiterung der Perspektive auch auf Bedarfe von Bürgerinnen und Bürgern erfordert nach unserer Einschätzung eine besondere Zuständigkeit (Organisationseinheit) zur Förderung der Bürgerbeteiligung innerhalb des Kompetenzzentrums, um sicherzustellen, dass die oben beschriebenen Bedarfe angemessen berücksichtigt werden.
Zu den Aufgaben dieser Einheit sollte gehören,
- zuverlässig zu identifizieren, wo in den Aufgaben nach §2 GIGV-Novelle Bedarfe von Bürgerinnen und Bürgern tangiert sind und in Anforderungen etc. berücksichtigt werden sollten,
- die Beteiligung zum Beispiel von Patienten- und Verbraucherorganisationen im IOP-Expertenkreis und in Arbeitsgruppen zu fördern; möglicherweise fehlen Patienten- und Verbraucherorganisationen gelegentlich die nötigen Kompetenzen zur Mitarbeit in Arbeitsgruppen, sodass eine Unterstützung hilfreich wäre,
- für diese Gruppe geeignete Inhalte auf der Wissensplattform zur Verfügung zu stellen.
3 Fazit
Zusammenfassend sieht das IQWiG an verschiedenen Stellen Änderungsbedarf an der GIGV-Novelle, damit die Perspektiven von Bürgerinnen und Bürgern sowie Patientinnen und Patienten dort berücksichtigt werden, wo sie unmittelbare Auswirkungen auf die Festlegung interoperabler Standards haben.