01.10.2018
Pertuzumab bei frühem Brustkrebs: Trotz beispielhafter Surrogatvalidierung kein Zusatznutzen belegt
Effekt auf krankheitsfreies Überleben zu klein, um auf Gesamtüberleben zu schließen
Bereits zum dritten Mal seit 2013 hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Zuge einer frühen Nutzenbewertung den Zusatznutzen des Wirkstoffs Pertuzumab bei der Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs untersucht. Der monoklonale Antikörper wird stets in Kombination mit Trastuzumab und einer Chemotherapie eingesetzt. Während es in den ersten beiden Nutzenbewertungen um die Behandlung von fortgeschrittenem Brustkrebs und um eine neoadjuvante, also der Operation vorgeschaltete Therapie ging, sollten diesmal die Vor- und Nachteile in der adjuvanten, also unterstützenden Therapie von frühem Brustkrebs mit hohem Rezidivrisiko bewertet werden.
Das Fazit: Für Patientinnen unter 65 Jahren schneidet die Kombinationstherapie aus Pertuzumab, Trastuzumab, einem Taxan und gegebenenfalls einem Anthrazyklin nicht besser ab als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Bei einem Alter ab 65 Jahren gibt es sogar einen Anhaltspunkt für einen geringeren Nutzen. Positiv hervorzuheben sind die methodisch solide Validierung des Surrogatendpunkts krankheitsfreies Überleben sowie die lange Nachbeobachtung von Symptomen und gesundheitsbezogener Lebensqualität.
Studie APHINITY ohne signifikanten Überlebensvorteil
Der Hersteller führt in seinem Dossier eine einzelne randomisierte kontrollierte Studie an, aus der er einen Zusatznutzen für Pertuzumab ableitet: Ein Großteil der gut 4800 Patientinnen und (sehr wenigen) Patienten in der noch laufenden Studie APHINITY entspricht der Zulassung des Wirkstoffs. Bei allen wurden die Primärtumoren vor Studienbeginn operativ entfernt, danach wurden die Teilnehmer 1:1 dem Arm mit Pertuzumab, Trastuzumab plus Chemotherapie oder dem Vergleichsarm mit Placebo, Trastuzumab plus Chemotherapie zugelost. Trastuzumab und Pertuzumab sind monoklonale Antikörper, die den in Krebszellen übermäßig exprimierten epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor HER2/neu blockieren und so das Rezidivrisiko senken sollen.
Im patientenrelevanten Endpunkt Gesamtüberleben zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Im Morbiditätsendpunkt Rezidive gab es einen Hinweis auf einen Zusatznutzen der Pertuzumab-Kombination, bei einigen Symptomen jedoch Anhaltspunkte für einen geringeren Nutzen. In der Endpunktkategorie gesundheitsbezogene Lebensqualität fanden sich in zwei von neun Bereichen Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen, aber auch in einem Bereich ein Anhaltspunkt für einen geringeren Nutzen. Hinzu kamen einige Hinweise auf einen geringeren Nutzen in der Kategorie Nebenwirkungen, etwa in Form häufigerer schwerwiegender unerwünschter Ereignisse.
In der Summe wogen die negativen Aspekte die Vorteile der neuen Kombination auf; für über 65-Jährige ergab sich sogar ein geringerer Nutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie.
Bis zu zwei Jahre Nachbeobachtung
Anders als bei weit fortgeschrittenem, metastasiertem Brustkrebs zielt die Therapie bei frühem Brustkrebs auf Heilung ab: Viele Patientinnen haben noch eine lange Lebenszeit vor sich. Bei vielen Studien in der frühen Nutzenbewertung ist kaum zu beurteilen, ob etwa eine Verschlechterung eines Symptoms oder ein Einbruch der gesundheitsbezogenen Lebensqualität vorübergehender Natur ist, da die Daten nur während der Behandlung erhoben werden. In der vorliegenden Studie mit ihrer langen Nachbeobachtungszeit für Symptome und Lebensqualität (bis zu zwei Jahre nach Therapieende) wurden diese Endpunkte dagegen sowohl während der Behandlung als auch mit einigem zeitlichem Abstand zum Therapieende gemessen. Bei einem solchen Studiendesign lassen sich vorübergehende Vor- oder Nachteile einer Behandlung von langfristigen Effekten unterscheiden.
Surrogatvalidierung methodisch beispielhaft
Wegen der relativ langen Lebenserwartung von Patientinnen mit frühem Brustkrebs war nicht zu erwarten, dass sich beim Gesamtüberleben während der Studie ein signifikanter Vorteil zeigt. Daher hat der Hersteller das sogenannte krankheitsfreie Überleben (also etwa die Häufigkeit von Rezidiven) als Surrogat für diesen Endpunkt interpretiert und daraus einen Zusatznutzen abgeleitet. Die Annahme: Wenn sich eine Behandlung positiv auf einen solchen Ersatz-Endpunkt auswirkt, dürfte sie auch auf den eigentlich relevanten Endpunkt günstig wirken. Das ist aber keineswegs sicher; daher müssen Surrogate sorgfältig validiert werden. In seiner Validierungsstudie hat der Hersteller Daten zum krankheitsfreien Überleben und zum Gesamtüberleben aus anderen, vergleichbaren Studien zusammengetragen und zunächst die Stärke der Korrelation dieser beiden Größen untersucht.
Diese anderen Studien unterscheiden sich zwar von der APHINITY-Studie, insbesondere in den Vergleichstherapien. Da in ihnen aber ebenfalls Patientinnen mit frühem Brustkrebs in einer adjuvanten Therapie mit monoklonalen Antikörpern behandelt wurden, also die Patientenpopulationen, die Wirkstoffklasse und die Therapielinie übereinstimmen, ist die Surrogatvalidierung dennoch aussagekräftig. Die ermittelte Korrelation zwischen krankheitsfreiem Überleben und Gesamtüberleben war von mittlerer Stärke. Daher ermittelten die Forscher anschließend den sogenannten surrogate threshold effect (STE). Das ist der minimale Effekt auf das Surrogat, der nachgewiesen sein muss, damit ein Effekt auf den klinischen Endpunkt bei einer mittleren Korrelation noch als belegt angesehen werden kann.
Effekt zu klein für Übertragung auf das Gesamtüberleben
Nur wenn der Behandlungseffekt auf das Surrogat in der Studie APHINITY vollständig oberhalb dieser Schwelle läge, könnte man vom krankheitsfreien Überleben auf das Gesamtüberleben schließen. Das ist aber nicht der Fall.
„Der Effekt auf den Surrogatendpunkt ist nicht groß genug“, so Beate Wieseler, Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. „Damit ist nicht sichergestellt, dass es einen Effekt auf das eigentlich interessierende Gesamtüberleben der Patientinnen gibt.“ Am Bewertungsergebnis ändere die Surrogatvalidierung bei dieser Bewertung also nichts, so Wieseler. „Sie zeigt aber, dass die korrelationsbasierte Validierungsmethode, die wir 2010 in unserem Bericht zu Surrogatendpunkten in der Onkologie vorgeschlagen haben, praktikabel ist.“
G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens
Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BAA) verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens.
Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem allgemein verständliche Informationen.