15.05.2018
Rhesusfaktor des Fetus vor Geburt testen: Test zuverlässig, Nutzen dennoch unklar
Studien zum Nutzen fehlen / Tests vor und nach der Geburt sind gleichwertig
Ist das Blut einer Schwangeren Rhesus-negativ (Rh-negativ), das Blut des Fetus aber Rhesus-positiv (Rh-positiv), kann es sein, dass die Frau Antikörper bildet, die vor allem weiteren Kindern schwer schaden können. Um diese sogenannte Sensibilisierung zu verhindern, bekommen derzeit alle Rh-negativen Schwangeren eine Prophylaxe. Ein neuartiger Test am Blut der Schwangeren kann aber bereits vor der Geburt den Rhesusfaktor des Kindes bestimmen. Sofern der Test hinreichend zuverlässig ist, könnten viele Schwangere auf die Prophylaxe verzichten. Bislang wird das Blut des Säuglings direkt nach der Geburt getestet.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun untersucht, ob die Steuerung der Prophylaxe mithilfe dieses Tests Vor- oder Nachteile bietet für die Kinder oder für die werdenden Mütter. Die abschließenden Ergebnisse liegen nun vor. Demnach gibt es keine Studien, die diese Frage beantworten können. Die Zuverlässigkeit des neuen Tests ist aber ebenso hoch wie die des herkömmlichen Tests nach der Geburt.
Gefahr vor allem in nachfolgenden Schwangerschaften
Der Rhesusfaktor ist eine erbliche Eigenschaft der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Er wirkt als Antigen, d. h. Rh-negative Menschen können Antikörper gegen fremde Rh-positive Blutkörperchen in ihrem Blut bilden. Dies kann schwere, auch tödliche Unverträglichkeitsreaktionen auslösen. Der Rhesusfaktor spielt deshalb bei der Blutübertragung und bei der Schwangerschaft eine wichtige Rolle.
Während der Schwangerschaft und insbesondere bei der Geburt kann Blut Rh-positiver Kinder in den Rh-negativen Kreislauf der Mutter gelangen. Die dadurch ausgelöste Bildung von Antikörpern nennen Fachleute Sensibilisierung. Die Antikörper können in den Blutkreislauf des Kindes eindringen und so u. a. Blutarmut (Anämie), Herzschwäche (Herzinsuffizienz) oder Hirnschäden verursachen oder gar zum Tod des Fetus führen.
Gefährdet sind allerdings weniger die Feten, welche die Schwangeren gerade in sich tragen, als vielmehr Kinder in nachfolgenden Schwangerschaften, die ebenfalls Rh-positiv sind. Denn sie sind bereits sehr früh in der Schwangerschaft der Abwehrreaktion des mütterlichen Blutes ausgesetzt.
Standard-Prophylaxe für alle Rhesus-negativen Schwangeren
Derzeit bekommen alle Rh-negativen Schwangeren eine Standarddosis Anti-D-Immunglobulin. Diese Antikörper sollen Erythrozyten abfangen, die schon vor der Geburt vom fetalen in den mütterlichen Blutkreislauf übertreten, und so die Sensibilisierung verhindern. Zum Einsatz kommt dabei humanes Anti-D-Immunglobulin, das von sensibilisierten Spendern gewonnen wird.
Nach der Geburt wird der Rhesusfaktor des Säuglings anhand seines Bluts bestimmt (postnatale Testung). Falls sein Blut Rh-positiv ist, erhält die Mutter eine weitere Anti-D-Prophylaxe.
Blut der Mutter enthält Information über Rhesusfaktor des Fetus
Inzwischen gibt es einen Test, der den Rhesusfaktor des Fetus schon vor der Geburt bestimmen kann. Dabei handelt es sich um ein nicht invasives Verfahren, d. h. der Fetus wird nicht angetastet. Untersucht wird vielmehr sogenannte zellfreie zirkulierende DNA des Fetus aus dem mütterlichen Plasma.
Prinzipiell wird es dadurch möglich, die vorgeburtliche Anti-D-Prophylaxe nur noch jenen Rh-negativen Schwangeren zu geben, deren Fetus laut Pränataltest Rh-positiv ist. Aktuell bekommen 15 Prozent der Schwangeren die Prophylaxe, was etwa 110 000 Schwangeren pro Jahr entspricht. Durch die neuen Tests könnte sich ihre Zahl auf etwa 60 000 reduzieren.
Studien können Fragestellung des Auftrags nicht beantworten
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der auch für die Ausgestaltung der „Mutterschaftsrichtlinien“ verantwortlich ist, wollte deshalb vom IQWiG wissen, ob die Einführung des neuen Tests für Kinder oder Mütter gesundheitliche Vor- oder Nachteile haben kann, also etwa das Auftreten von Blutarmut (hämolytischer Anämie) erhöhen oder das Auftreten von Nebenwirkungen der Prophylaxe vermindert würde.
Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG feststellen mussten, gibt es aktuell keine Studien, die präzise Aussagen darüber zulassen, welche Auswirkungen die Einführung des neuen Tests haben könnte.
Beide Tests gleichermaßen zuverlässig
Es gibt aber Studien, die Auskunft darüber geben, wie zuverlässig der Pränataltest den Rhesusfaktor des Kindes bestimmen kann. Die Zuverlässigkeit ist vergleichsweise hoch, Fachleute sprechen von „hoher diagnostischer Güte“: Der Test erkennt 99,9 Prozent der Rh-positiven Feten ( Sensitivität) und ordnet 99,1 Prozent der Rh-negativen richtig ein ( Spezifität). Das bedeutet, dass 0,1 Prozent der Schwangeren, bei denen eine Anti-D-Prophylaxe vor der Geburt angezeigt wäre, diese nicht erhielten, sofern man sich auf das Testergebnis verließe. Damit ist der Pränataltest ebenso zuverlässig wie der Test nach der Geburt.
Denkbare Vor- und Nachteile abwägen
Der neue Test ermöglicht es, die Anti-D-Prophylaxe gezielt einzusetzen und bei einem Teil der Schwangeren eine unnötige vorgeburtliche Prophylaxe zu unterlassen. Ob diese Schwangeren davon einen Vorteil haben, ist aber unklar, da verlässliche Daten zu denkbaren Nebenwirkungen der Prophylaxe fehlen.
Das Risiko, dass es in Folge falscher Testergebnisse zu zusätzlichen Sensibilisierungen kommen könnte, ist – trotz des Fehlens ausreichender Daten – als klein einzuschätzen. Denn zum einen ist der Test als sehr zuverlässig einzustufen. Zum anderen ist das Risiko, dass bereits während der Schwangerschaft eine Sensibilisierung stattfindet, gering.
Das Institut hat sich in seinem Bericht nicht mit der Frage befasst, welche Auswirkungen es auf der Ebene des Gesundheitssystems haben könnte, wenn unnötige Anti-D-Prophylaxen in großer Zahl wegfielen. Generell von Bedeutung sind hier indes nicht nur deren Finanzierung, sondern auch die Beschaffung sowie ethische Aspekte. Denn um den Impfstoff zu gewinnen, werden männliche Spender mit einem Blutprodukt sensibilisiert. Weltweit ist die Zahl der Spender begrenzt und Deutschland muss die Präparate importieren.
Pränataltest als Ersatz für Postnataltest geeignet
Wenn der Pränataltest den Postnataltest ersetzen sollte, würden weder die Rate fälschlicherweise vorenthaltener Prophylaxen noch die Rate hämolytischer Anämien messbar steigen. Das liegt daran, dass beide Tests gleichwertig sind. Es wäre jedoch empfehlenswert, das Verfahren zunächst zu evaluieren und dabei insbesondere zu prüfen, wie hoch die Sensitivität des neuen Pränataltests unter den Bedingungen der Versorgung in Deutschland tatsächlich ist. Erst danach ließe sich sicher entscheiden, ob der nachgeburtliche Test tatsächlich verzichtbar ist. Auch in Dänemark und den Niederlanden, wo inzwischen ausschließlich der Pränataltest genutzt wird, hatten die Verantwortlichen eine Evaluation vorgeschaltet.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG im Oktober 2017 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht im März 2018 an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.