10.01.2018

RCTs sind auch bei Medizinprodukten Standard

IQWiG hat Anträge auf Genehmigung klinischer Studien bei Ethikkommission Berlin analysiert / RCT-Anteil gestiegen

Über klinische Studien zu Medizinprodukten weiß man deutlich weniger als über Studien zu Arzneimitteln. Es gibt in Europa bislang keine Regelung, die eine Registrierung solcher Studien oder eine Veröffentlichung ihrer Ergebnisse vorschreibt. Auch dann, wenn die Studienergebnisse für die Zertifizierung eines neuen Medizinprodukts verwendet werden, bleiben sie meist unveröffentlicht.

Um etwas Licht in das Dunkel zu bringen, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) alle Anträge auf Genehmigung klinischer Prüfungen für Medizinprodukte analysiert, die zwischen 2010 und 2013 bei der Berliner Ethikkommission eingereicht wurden. 2010 waren 63% der gestellten Anträge zu Therapie-Studien randomisierte kontrollierte Studien (RCT), bis 2013 stieg dieser Anteil stetig auf 86 %. Bislang hatten Wissenschaftler den RCT-Anteil bei Medizinprodukten deutlich niedriger geschätzt.

Genehmigung durch Ethikkommission und Bundesoberbehörde nötig

Seit Inkrafttreten der Vierten Novelle des Medizinproduktegesetzes 2010 müssen bestimmte klinische Prüfungen zu Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika sowohl von der Bundesoberbehörde (BfArM) genehmigt als auch von einer Ethikkommission „positiv bewertet“ werden. Das ist dann der Fall, wenn das Medizinprodukt entweder noch gar keine CE-Kennzeichnung hat oder außerhalb seiner „Zweckbestimmung“, also beispielsweise in einer anderen Indikation, eingesetzt werden soll. Oder aber die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dabei „zusätzlichen invasiven Maßnahmen oder anderen belastenden Untersuchungen“ wie etwa Röntgenstrahlen ausgesetzt.

Über 60 % der Produkte noch ohne CE-Kennzeichen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IQWiG konnten bei der Ethikkommission des Landes Berlin alle zwischen 21.3.2010 und 31.12.2013 eingegangenen Antragsunterlagen anonymisiert auswerten. Die von insgesamt 122 Anträgen umfasste 98 klinische Prüfungen zu therapeutischen Interventionen, 14 zu diagnostischen Interventionen sowie 10 Leistungsbewertungsprüfungen von In-vitro-Diagnostika.

Bei 75 der 122 Anträgen handelte es sich um ein Prüfprodukt, das noch keine CE-Kennzeichnung hatte, also noch nicht verkehrsfähig war. Zwar entfiel der Großteil der insgesamt 112 Studien zu Medizinprodukten auf die höheren Risikoklassen III und IIb (48 und 34). Es waren aber auch Studien zu Klasse-IIa- und Klasse-I-Produkten darunter (18 und 12).

Große Unterschiede bei Zielen und Qualität der Studien

In 98 Studien ging es um Therapieverfahren, die übrigen 24 prüften Diagnostika. Die durchschnittliche Medizinprodukte-Studie plante etwa 50 bis 250 Patientinnen und Patienten einzuschließen und diese etwa ein Jahr lang nachzubeobachten. Bei 41 Studien hatte die Ethikkommission auch zu prüfen, ob die Studienplanung dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Mängel am Studiendesign sah die Ethikkommission hier bei gut der Hälfte der Studien. Diese Mängel wurden in der Regel durch die Antragsteller behoben; nur in vier Fällen wurde der Studienantrag letztlich nicht genehmigt oder zurückgezogen.

Bei rund 36 % der 122 Anträge gab es einen primären , der als patientenrelevant anzusehen ist. Oft war in den Studien sogar eine vorgesehen, um Endpunkte aussagekräftig erfassen zu können. Somit wurden in vielen Studien Aspekte thematisiert, die über das hinausgehen, was derzeit für ein CE-Kennzeichen erforderlich ist. Und etwa die Hälfte der Studien zielten explizit darauf ab, nicht nur die Sicherheit oder die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Wirksamkeit des neuen Medizinprodukts nachzuweisen.

Hoher Anteil von RCTs überrascht

In der gesamten waren 57 % der beantragten Studien als RCTs geplant. Da Studien zur diagnostischen Güte neuer Tests oft kein randomisiertes Design erfordern, überrascht es nicht, dass der Anteil bei den Therapie-Studien mit 70 % noch deutlich höher liegt. Und im Untersuchungszeitraum stieg er kontinuierlich: 2010 waren 63 % der Therapie-Studien als RCTs geplant, 2013 betrug der Anteil 86 %. Das sind deutlich mehr RCTs, als von Fachleuten bisher angenommen wurde. Parallel sank der Anteil der Anträge, die keine Vergleichsgruppe vorsahen, von 38 % auf 14 %.

„Ein so deutliches Ergebnis haben wir selbst nicht erwartet“, kommentiert Stefan Sauerland, Ressortleiter Nichtmedikamentöse Verfahren im IQWiG. „Dass RCTs auch bei Medizinprodukten machbar sind, ist schon lange klar. Mittlerweile sind sie offenbar sogar der Standard.“ Vergleichbare Untersuchungen liegen bislang nur aus den USA vor, wo – trotz eigentlich strikterer Gesetze – der RCT-Anteil etwa zwischen 30 % und 50 % liegt. „Unsere Zahlen sorgen endlich für etwas mehr Transparenz und auch Optimismus in der Medizinprodukte-Forschung“, so der Ressortleiter.

Neue EU-Verordnung soll für mehr Transparenz sorgen

Allerdings wisse man nicht, ob die Berliner repräsentativ sei. Und es bleibe unklar, ob die beantragten Studien auch tatsächlich so wie geplant durchgeführt wurden. „Lediglich publizierte Studien auszuwerten, hätte vermutlich ein verzerrtes Bild ergeben, da viele Medizinprodukte-Studien in den Schubladen von Sponsoren oder Wissenschaftlern bleiben“, so Stefan Sauerland.

Es bestehe aber Aussicht auf Besserung: Die neue EU-Medizinprodukteverordnung muss spätestens 2020 europaweit umgesetzt werden. Und diese sieht vor, dass die zentralen Ergebnisse von Studien veröffentlicht werden müssen. Die international zunehmende gesetzliche Regulierung von Medizinprodukten dürfte auch dazu führen, dass Hersteller künftig mehr aussagekräftige Studien machen müssen.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Der vorliegende wurde in Form eines Arbeitspapiers im Rahmen des Generalauftrags erstellt. Um die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Institutes zu stärken, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Dezember 2004 einen erteilt und diesen 2006 auf Informationen zur Qualität und Effizienz des Gesundheitswesens ausgeweitet. Dieser ermöglicht es dem IQWiG, eigenständig Themen aufzugreifen und wissenschaftlich zu bearbeiten. Im Unterschied zu anderen Berichtsformen gibt es keine Fristen für die Publikation von Arbeitspapieren. Das wurde am 15. Dezember 2017 an den versandt.

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