08.08.2017
Telemonitoring bei Herzerkrankungen: Vorbericht publiziert
Nutzen unklar / Mehrere Studien nicht oder nicht vollständig veröffentlicht / Stellungnahmen erbeten
Um Herzversagen zu verhindern, werden Menschen mit bestimmten Herzerkrankungen elektronische Geräte implantiert, die bei Bedarf selbsttätig den Herzschlag stimulieren oder schwerwiegende Rhythmusstörungen ausgleichen sollen. Heutzutage ist es mithilfe dieser Geräte zudem möglich, die Herzfunktion aus der Ferne zu überwachen. Ist sie auffällig, kann der Arzt oder die Ärztin zusätzliche therapeutische Maßnahmen einleiten. Ob dieses sogenannte Telemonitoring Patientinnen und Patienten bei Herzinsuffizienz oder bei Herzrhythmusstörungen mit hoher Herzfrequenz (ventrikuläre Tachyarrhytmien) Vorteile bietet, untersucht derzeit das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Die vorläufigen Ergebnisse liegen nun vor. Demnach bleiben Nutzen oder Schaden unklar. Denn zum einen fallen die Behandlungsergebnisse bei einer ganzen Reihe von Zielkriterien mit Telemonitoring weder besser noch schlechter aus als ohne. Zum anderen sind zu unerwünschten Ereignissen und zur Lebensqualität mangels Daten gar keine Aussagen möglich. Denn hier wurden Studienergebnisse nicht oder nur lückenhaft veröffentlicht. Auch auf Anfrage hat sie das IQWiG nicht erhalten. Bis zum 5. September nimmt das Institut Stellungnahmen zu diesem Vorbericht entgegen.
Elektrische Impulse sollen Herzfunktion stabilisieren
Herzinsuffizienz, also Herzschwäche, ist eine häufige Erkrankung gerade bei älteren Menschen und gehört zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Sogenannte ventrikuläre Tachyarrhythmien treten bei Herzinsuffizienz häufig auf. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Herzrhythmusstörung (Arrhythmie) und schnellem Herzschlag (Tachykardie), die von einer der beiden Herzkammern (Ventrikeln) ausgeht. Sie können im schlimmsten Fall einen plötzlichen Herztod verursachen.
Beide Erkrankungen werden behandelt, indem man den Betroffenen aktive kardiale Aggregate implantiert. Ist der Herzschlag auffällig, senden diese Geräte elektronische Impulse aus. Sie sollen entweder eine Defibrillation oder eine Überstimulation auslösen (ICDs) oder die Kontraktion von linker und rechter Herzkammer synchronisieren (CRTs). Ein dritter Gerätetyp kombiniert beide Funktionalitäten (CRT-Ds).
Telemonitoring soll Nachsorge unterstützen
Unabhängig vom Typ des Implantats ist eine regelmäßige (ambulante) Nachsorge notwendig, wobei Patienten in festen Zeitabständen, in der Regel alle drei Monate zu ihrem Arzt oder zu ihrer Ärztin kommen müssen. Prinzipiell ermöglichen heutzutage aber alle Gerätetypen auch das sogenannte Telemonitoring. Dabei werden physiologische Daten per Funk an die Praxis oder eine andere medizinische Einrichtung übermittelt und überwacht. Die Patientinnen und Patienten können dann bei Bedarf unabhängig von den regulären Nachsorgeterminen einbestellt werden, um diagnostische oder therapeutische Maßnahmen einzuleiten. Das Telemonitoring soll den Arztbesuch aber auch teilweise ersetzen können.
Bei den meisten Zielkriterien keine relevanten Unterschiede
In ihre Bewertung einbeziehen konnten die Kölner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 16 Studien, an denen insgesamt rund 8500 Patientinnen und Patienten teilgenommen hatten. Bei nichtmedikamentösen Verfahren gibt es selten eine so breite Datenbasis. In diesen Studien erhielten die Teilnehmer entweder nur die Standardnachsorge oder sie wurden zusätzlich per Telemonitoring fernüberwacht.
Bei den meisten Zielkriterien, den sogenannten Endpunkten, zeigen die Daten keine oder keine relevanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen. Für die Sterblichkeit, das Auftreten von Schlaganfällen oder Herzinfarkten gilt das ebenso wie für die Notwendigkeit von Klinikaufenthalten oder das Auftreten von psychischen Problemen.
Lebensqualität: Daten von 81 % der Studienteilnehmer fehlen
Bei zwei zentralen Endpunkten sind gar keine Aussagen zu Nutzen oder Schaden möglich, weil hier die Daten für einen erheblichen Anteil der Patientinnen und Patienten fehlen. Was schwerwiegende unerwünschte Ereignisse betrifft, zu denen auch Nebenwirkungen der Therapie zählen, sind für 40 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Ergebnisse nicht verfügbar. Bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sind es sogar 81 %. Nur diejenigen Teilnehmer in die Bewertung einzubeziehen, für die Angaben vorliegen, wäre nicht adäquat. Denn bei einem derart hohen Anteil fehlender Daten ist die Wahrscheinlichkeit für ein verzerrtes Ergebnis sehr hoch.
Mehrere Studien nicht publiziert
Doch es fehlen nicht nur Angaben von Studienteilnehmern. Drei Studien, die für die Bewertung wahrscheinlich relevant sind, waren zu Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. Das IQWiG hat zudem vier weitere abgeschlossene, noch unpublizierte Studien identifiziert. Allerdings war deren Relevanz unklar. Unter diesen Studien ist auch die EVATEL-Studie: Sie wurde vor mehr als sechs Jahren abgeschlossen, bislang ist aber lediglich ein Abstract verfügbar. Alle Anfragen des Instituts bei den Studien-Autoren waren erfolglos.
Kooperation mit Herstellern verbesserungsfähig
Zwar konnte das IQWiG mit vier von sieben Herstellern vorab eine schriftliche Vereinbarung treffen, die die Übermittlung von Studiendaten regelt: Sie stellt sicher, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Hersteller gewahrt bleiben, das IQWiG aber Studienergebnisse verwenden kann. „Trotz dieser Verträge hakte das Verfahren bei vielen Studien“, stellt der stellvertretende Leiter des IQWiG, Stefan Lange, enttäuscht fest. „Hier müssen wir noch nachbessern! Wir hoffen aber, dass uns das Stellungnahmeverfahren zum Vorbericht hier weiterbringt“, so Stefan Lange.
Situation bei IITs leider nicht besser
„Und bedauerlicherweise sieht es bei Studien, die nicht von der Industrie, sondern von Wissenschaftlern selbst aufgelegt wurden, nicht besser aus“, ergänzt er. Der Bericht zum Telemonitoring zeigt, dass häufig noch nicht einmal das geplante Vorgehen veröffentlicht werde. „Sogenannte Designpublikationen sucht man bei den sogenannten Investigator Initiated Trials (IITs) ebenso vergeblich wie Studienprotokolle – von den Ergebnissen erst gar nicht zu reden.“
In zwei von vier Fällen haben die Studienautoren noch nicht einmal auf die Anfragen des IQWiG reagiert. „Hier muss sich dringend etwas ändern“, fordert der stellvertretende Leiter des IQWiG. „Klinische Studien haben keinen Selbstzweck, vielmehr müssen alle ihre Resultate so rasch wie möglich öffentlich verfügbar sein. Denn nur dann können wir Nutzen und Schaden der medizinischen Interventionen bewerten. Ohne dieses Wissen können Patientinnen und Patienten keine informierte Entscheidung treffen“.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Den vorläufigen Berichtsplan für dieses vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Auftrag gegebene Projekt hatte das IQWiG im September 2016 vorgelegt und um Stellungnahmen gebeten. Diese wurden zusammen mit einer Würdigung und dem überarbeiteten Berichtsplan im März 2017 publiziert. Stellungnahmen zu dem jetzt veröffentlichten Vorbericht werden nach Ablauf der Frist gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.