25.06.2015
Bericht zur Therapie von Hämophilie-Patienten erschienen
Bei schwerer Hämophilie A ist prophylaktische Therapie der anlassbezogenen in einigen Endpunkten überlegen
Zur langfristigen Behandlung von Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B mit Faktorpräparaten wurden trotz der Seltenheit der Erkrankungen und fehlender Anreize für die pharmazeutischen Unternehmen etliche randomisierte kontrollierte Langzeitstudien durchgeführt. Darunter sind drei Studien, die eine prophylaktische mit einer anlassbezogenen, d. h. erst bei Blutungen gestarteten Therapie vergleichen. Aus ihnen lassen sich Anhaltspunkte für sowie ein Hinweis auf einen Zusatznutzen einer prophylaktischen gegenüber einer anlassbezogenen Behandlung für Patienten mit Hämophilie A ableiten, allerdings nur für bestimmte Endpunkte.
Zu den Auswirkungen der unterschiedlichen Behandlungsstrategien auf die Gelenkfunktion lagen keine verwertbaren Daten vor. Für Kinder sind die Ergebnisse zu den meisten Endpunkten wegen der unzureichenden Datenqualität nicht interpretierbar. Die Ergebnisse stützen jedoch die meisten aktuellen Leitlinien und Therapiealgorithmen im Hinblick auf die Empfehlungen zur Vorbeugung schwerer Blutungen.
Das sind die Hauptaussagen eines am 25. Juni 2015 veröffentlichten Rapid Reports, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) erstellt hat.
Drei Fragestellungen
Der Bericht hatte drei Ziele: Das IQWiG sollte die Evidenzlage zur langfristigen Behandlung von Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B mit Faktorpräparaten kartieren, und zwar mit Blick auf unterschiedliche Therapiestrategien, Faktorpräparate, Dosierungsregime und prophylaktische Therapieregime. Auf dieser Basis sollte der langfristige Nutzen einer prophylaktischen und einer anlassbezogenen Therapie verglichen werden, und zwar hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte und auf der Basis kontrollierter prospektiver Studien. Und das Institut sollte überprüfen, inwieweit sich die aktuellen Behandlungsleitlinien und -algorithmen auf diese Evidenz stützen.
16 Langzeitstudien identifiziert
Zur ersten Fragestellung wurden 13 abgeschlossene und drei laufende randomisierte kontrollierte Langzeitstudien identifiziert. Nur an zwei Studien nahmen Patienten mit Hämophilie B teil. Für Kinder blieben wichtige klinische Fragestellungen bislang unbeantwortet. Ebenfalls offen ist derzeit die Frage, ob es Unterschiede zwischen aus Blutplasma gewonnenen und biotechnologisch hergestellten Faktorpräparaten gibt.
Dies liegt zum Teil daran, dass die Hersteller der Faktorpräparate keinen Anreiz haben, vergleichende Langzeitstudien durchzuführen, da diese für die Zulassung nicht verlangt werden. Dennoch zeigt die Evidenzkartierung, dass auch für vergleichsweise seltene Erkrankungen wie Hämophilie A oder B randomisierte kontrollierte Studien durchführbar sind.
Für Hämophilie B keine Aussage zum Zusatznutzen möglich
Für einen Vergleich des Nutzens einer prophylaktischen und einer anlassbezogenen Therapie mit Faktorpräparaten waren insgesamt drei der Studien geeignet: eine an Jugendlichen und Erwachsenen mit schwerer Hämophilie A und zwei an Kindern mit schwerer Hämophilie A. Für Patienten mit Hämophilie B ist daher keine Aussage über einen größeren oder geringeren patientenrelevanten Nutzen einer prophylaktischen gegenüber einer anlassbezogenen Therapie möglich.
Für Jugendliche und Erwachsene mit schwerer Hämophilie A ergeben sich bei den Endpunkten Gesundheitszustand und Schmerz Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen der Prophylaxe sowie für den Endpunkt schwere Blutungen ein Hinweis auf einen solchen Zusatznutzen. Die beiden Studien an Kindern haben ein so hohes Verzerrungspotenzial, dass sich nur bezüglich der schweren Blutungen ein Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen von prophylaktischen Faktorpräparat-Gaben ableiten lässt.
Insbesondere für Kinder lässt sich daher für keine der beiden Therapiestrategien ein Zusatznutzen zu patientenrelevanten Endpunkten wie Schmerzen, Gelenkfunktion oder Lebensqualität ableiten.
Leitlinien und Therapiealgorithmen: wenige Widersprüche zur Evidenzlage
Zur Ermittlung der Leitlinien und Behandlungsalgorithmen hat das IQWiG die auf die Behandlung von Hämophilie-Patienten spezialisierten Einrichtungen in Deutschland angeschrieben. Von den so erhaltenen 13 potenziell relevanten Leitlinien und vier Behandlungsalgorithmen erwiesen sich nur drei Leitlinien als evidenzbasiert. Die meisten Leitlinien und Algorithmen widersprechen den Ergebnissen der Nutzenbewertung nicht.
Allerdings empfiehlt eine der Kliniken für erwachsene Patienten grundsätzlich eine anlassbezogene Therapie, was durch die Ergebnisse der Nutzenbewertung nicht gestützt wird. Außerdem enthalten mehrere Empfehlungen Aussagen zum Erhalt und zur Funktionsfähigkeit der Gelenke, die durch die Evidenz nicht gedeckt sind. Denn zu diesen Endpunkten lagen in den Studien keine verwertbaren Daten vor.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Das BMG hatte das IQWiG beauftragt, den Bericht in einem beschleunigten Verfahren als sogenannten Rapid Report zu erarbeiten. Im Unterschied zum sonst üblichen Prozedere werden hier keine Vorberichte veröffentlicht, und es entfällt die Anhörung, bei der alle Interessierten Stellungnahmen abgeben können. Der vorliegende Rapid Report wurde am 28. Mai 2015 an den Auftraggeber geschickt.
Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Berichts gibt folgende Kurzfassung.