23.04.2015
Bakteriurie-Screening bei Schwangeren: Nutzen unklar
Ergebnisse alter Studien nicht auf heutige Situation übertragbar / Klärung sinnvoll und möglich
Über den patientenrelevanten Nutzen oder Schaden eines Screenings von Schwangeren auf asymptomatische Bakteriurie (ASB) lässt sich mangels geeigneter Studien keine Aussage treffen. Der Nutzen einer Antibiotikatherapie der ASB im Anschluss an ein Screening ist ebenfalls offen, da sich die Ergebnisse der über 40 Jahre alten Studien nicht auf die heutige Versorgungssituation übertragen lassen. Zu diesem Ergebnis kommt ein am 23. April 2015 veröffentlichter Abschlussbericht, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G- BA) erstellt hat.
Mutterschafts-Richtlinien sehen ASB-Screening routinemäßig vor
Bei einer ASB rufen die Bakterien im Urin keine Symptome eines Harnwegsinfekts hervor; sie lässt sich daher nur durch Tests nachweisen. Untersucht wird bei Schwangeren meist Mittelstrahlurin. Alten Studien zufolge soll eine ASB unbehandelt in etwa einem Viertel der Fälle zu einer Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis) führen. Eine Bakteriurie wurde auch mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburten in Verbindung gebracht.
Um den Nutzen eines ASB-Screenings für Mutter und Kind zu bewerten, läge es nahe, zum Vergleich eine Managementstrategie ohne Screening heranzuziehen. Da das Screening aber in Deutschland wie in vielen anderen Ländern wegen des unterstellten Nutzens seit vielen Jahren fester Bestandteil der Vorsorge ist, konnte keine solche Vergleichsstudie identifiziert werden. Ersatzweise untersuchte das Institut den Nutzen und Schaden einer Therapie der ASB, die durch ein Screening entdeckt wurde, und zwar im Vergleich zu einer Nichtbehandlung oder Placebo-Gabe. Denn wenn der Nutzen einer solchen Therapie für betroffene Frauen belegt wäre, wäre zumindest die Grundvoraussetzung für einen Nutzen des Screenings erfüllt.
Versorgungssituation hat sich geändert
Zu dieser Fragestellung wurden drei 1960 bis 1969 veröffentlichte Studien identifiziert. Die wichtigsten patientenrelevanten Endpunkte waren kindliche Morbidität, Pyelonephritis und unterer Harnwegsinfekt. Bei den beiden letztgenannten Endpunkten fand sich jeweils ein Anhaltspunkt für einen Effekt der antibiotischen Behandlung.
Aber diese über 40 Jahre alten Studienergebnisse lassen sich nicht auf die heutige Versorgungssituation übertragen: Zum Teil waren die Teilnehmerinnen vor der Studie Maßnahmen ausgesetzt, die bei gesunden Schwangeren nicht mehr üblich sind und den Behandlungseffekt beeinflusst haben könnten. Zum Teil bleibt unklar, wie die ASB festgestellt wurde, sodass die Effekte nicht eindeutig einem Diagnoseverfahren zuzuordnen sind. Und in allen Studien fehlen Angaben zu wesentlichen Charakteristika der Studienpopulationen, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert.
Zudem wurden in den Studien mögliche Schäden durch die damals üblichen Antibiotika kaum untersucht. Da bei einer ASB heute andere Antibiotika eingesetzt werden, könnte sich die Nutzen-Schaden-Bilanz seit den 1960er-Jahren verschoben haben – entweder zugunsten eines Screenings oder aber zugunsten einer abwartenden Strategie. Ob Schwangere oder ihre Kinder von dem Screening profitieren, ist damit ebenso offen wie die Frage nach dem Nutzen einer Antibiotika-Therapie bei einer ASB, die durch ein Screening nachgewiesen wurde.
ASB-Komplikationen seltener als vermutet
In den Niederlanden wird ein ASB-Screening bislang nur für Risikogruppen empfohlen. Daher sind dort Studien mit Kontrollgruppen ohne Screening möglich. Bei der Rekrutierung zu einer aktuellen Vergleichsstudie gab es aber ein Problem: Die als Studienendpunkte definierten Ereignisse, Pyelonephritis und Frühgeburt, traten erheblich seltener ein als erwartet. Das deutet auf eine gegenüber früher deutlich gesunkene Inzidenz oberer Harnwegsinfekte hin. Womöglich treten bei einer ASB heutzutage viel seltener Komplikationen auf, wodurch sich auch das Verhältnis zwischen den Vorteilen und den Nachteilen eines Screenings verschoben haben könnte.
Klärung sinnvoll und machbar
„Die Frage, wie nützlich ein allgemeines ASB-Screening bei Schwangeren ist, sollte auch in Deutschland neu gestellt werden“, meint Stefan Sauerland, der Leiter des Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren im IQWiG. „Eine solche Studie ist machbar – und auch ethisch vertretbar, wenn man bestimmte Risikogruppen ausschließt, damit ihnen im Placebo-Arm keine Antibiotika-Therapie vorenthalten wird. Der Rekrutierungsstopp bei der niederländischen Studie zeigt allerdings, dass die Fallzahlen auf der Basis der aktuellen Pyelonephritis-Inzidenz geplant werden müssen, die offenbar niedriger ist als vor vierzig, fünfzig Jahren.“
Dann könnte man auch ermitteln, welche Screening-Strategie sich besser bewährt, etwa ein einmaliges Screening mittels Urinkultur oder mehrere Papierstreifentests im Verlauf der Schwangerschaft. „Zudem sollten Mutter und Kind über die Geburt hinaus beobachtet werden, um auch Spätfolgen zu erfassen“, so Sauerland.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG im Oktober 2014 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht im Februar 2015 an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.
Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Abschlussberichts gibt die Kurzfassung.