13.12.2023
Sollte bei Problemen mit Gallensteinen rasch eine Gallenblasen-OP geplant werden? Nicht zu voreilig!
Laut einer aktuellen Studie, die von IQWiG-Experte Stefan Sauerland kommentiert wurde, kann Abwarten bei symptomatischer Gallensteinerkrankung eine sinnvolle Option sein.
Wenn Gallensteine Beschwerden machen und beispielsweise eine Kolik verursachen, so ist dies die klassische Indikation zum Entfernen der Gallenblase. Denn dadurch lassen sich nicht nur die akuten Beschwerden lindern, sondern auch Komplikationsrisiken vermindern. Bei Gallensteinen fürchtet man vor allem, dass diese in die Gallenwege rutschen und dort Blockaden und schwere Entzündungen verursachen. Dadurch könnten auch Leber und Bauchspeicheldrüse geschädigt werden.
OP-Indikation oft nicht eindeutig
Weil das Gallensteinleiden in Deutschland sehr häufig ist, zählt die Gallenblasenentfernung zu den häufigsten Operationen: Pro Jahr wird bei etwa 175 000 Frauen und Männern die Gallenblase entfernt – schon nach einer ersten Gallenkolik kommt es bei etwa 20 Prozent der Patientinnen und Patienten zur Gallenblasenentfernung. Dabei bleibt aber die genaue Indikation und der richtige Zeitpunkt für die Gallenblasenentfernung eine Grauzone: Einige Experten und Expertinnen plädieren für ein zügiges Operieren. Man weiß aber, dass etwa die Hälfte aller Patientinnen und Patienten in den folgenden zehn Jahren auch ohne Operation beschwerdefrei bleiben würde.
So plädieren auch Stefan Sauerland, Leiter des IQWiG-Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren, und sein Kollege Mike Ralf Langenbach, Leiter der Klinik für Allgemein-, Viszeralchirurgie und Koloproktologie des Evangelischen Krankenhauses Lippstadt, in einem Editorial im British Medical Journal (BMJ) für eine zurückhaltende Behandlung mit individueller Risikoabwägung.
C-GALL-Studie zeigt kaum Unterschiede zwischen Operation und Abwarten
Anlass für das Editorial war eine große vergleichende Studie namens C-GALL. In dieser Studie wurde bei Erwachsenen mit unkompliziert symptomatischen Gallensteinen gemäß zufälliger Zuteilung entweder die Gallenblase minimalinvasiv entfernt oder konservativ behandelt. Da die Ergebnisse zu Schmerzen, Lebensqualität und Komplikationsraten nach einem Studienjahr in beiden Gruppen ähnlich waren, schlussfolgern die Autorinnen und Autoren der Studie, dass die konservative Behandlung eine vertretbare Option für Patienten mit unkomplizierten symptomatischen Gallensteinen sei und bei bestimmten Patienten sogar vorzuziehen sein könnte.
Auch Stefan Sauerland und sein chirurgischer Kollege Ralf Langenbach teilen diese Einschätzung. Zwar ist in manchen Fällen die rasche Entfernung der Gallenblase eindeutig die beste Lösung. Abhängig von individuellen Risikofaktoren und Patientenwunsch sei aber bei vielen Patientinnen und Patienten eine konservative Behandlung zumindest einen Versuch wert. Die Operation als Standardlösung für ein Gallensteinleiden sei keine gute Idee – insbesondere nicht bei weniger schweren und atypischen Symptomen, weil hier eine Operation zum Teil keine Symptomverbesserung bringe. In einer niederländischen Studie habe man durch ein bewusst zurückhaltendes Behandlungskonzept die Rate der Gallenblasenoperationen um acht Prozent senken können, ohne dass mehr Komplikationen auftraten. Unverzichtbar sei in jedem Fall eine individuelle Entscheidung gemeinsam mit den Betroffenen.
IQWiG bietet Entscheidungshilfe an
Für Patientinnen und Patienten hat das IQWiG bereits eine Entscheidungshilfe entwickelt, die dabei helfen soll, sich über grundsätzliche und über die persönlichen Vor- und Nachteile einer Gallenblasenentfernung zu informieren. Zuvor hatte das IQWiG bereits im Rahmen eines G-BA-Auftrags vorgeschlagen, in Deutschland auch ein Zweitmeinungsverfahren für die Gallenblasenentfernung zu ermöglichen, damit sich Betroffene bei Zweifeln vor einer möglichen Operation eine zweite ärztliche Meinung einholen können. Seit 2023 haben gesetzlich Versicherte in Deutschland einen Anspruch auf dieses Zweitmeinungsverfahren.
Bemerkenswert an der C-GALL-Studie zur Gallenblasenentfernung ist im Übrigen auch, dass diese im Rahmen des britischen HTA-Programms finanziert wurde. HTA (= Health Technology Assessment) bezeichnet die systematische Bewertung von Gesundheitsleistungen. Das IQWiG als deutsche HTA-Organisation verfügt – anders als die britischen Nachbarn – jedoch kaum über Möglichkeiten, um bedeutsame Gesundheitsfragen durch klinische Studien beantworten zu lassen. „Es ist schade, dass wir immer wieder relevante Lücken im medizinischen Wissen feststellen, für das Schließen dieser Lücken aber keine Handlungsoptionen in den Händen halten“, kommentiert Stefan Sauerland diese Situation.