02.07.2009
IQWiG publiziert Vorbericht zu kurzwirksamen Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes
Zusatznutzen im Vergleich zu Humaninsulin nicht belegt / Langzeitstudien fehlen
Ob Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes von einer langfristigen Behandlung mit kurzwirksamen Insulinanaloga mehr profitieren als von kurzwirksamem Humaninsulin, ist Gegenstand einer Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Am 2. Juli 2009 hat das Institut seine vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht. Bis zum 30. Juli können interessierte Personen und Institutionen schriftliche Stellungnahmen zu diesem Vorbericht einreichen.
Das IQWiG hatte bereits im März 2007 eine Bewertung der kurzwirksamen Insulinanaloga abgeschlossen. Darin konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber lediglich Aussagen über Vor- und Nachteile der Wirkstoffgruppe für Erwachsene treffen, denn zu Kindern und Jugendlichen fehlten ihnen Daten aus abgeschlossenen aber noch unpublizierten Studien. Ein Sponsor dieser Studien, die Firma Novo Nordisk, hatte sich seinerzeit geweigert, entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen. Erst auf öffentlichen Druck änderte Novo Nordisk seine Haltung und sagte zu, die gewünschten Daten zu liefern.
Da eine Nutzenbewertung unter diesen veränderten Bedingungen neue Erkenntnisse versprach, erteilte der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) einen Nachfolgeauftrag. Ziel sollte es zum einen sein, den Nutzen der kurzwirksamen Insulinanaloga bei Kindern und Jugendlichen mit Typ1-Diabetes im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin zu bewerten und zum anderen die verschiedenen Analoga gegeneinander abzuwägen. Geprüft hat das IQWiG alle drei in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe: Insulin Aspart (Handelsname: Novorapid), Insulin Lispro (Handelsname Humalog, Liprolog) und Insulin Glulisin (Handelsname Apidra).
Längste Studie dauerte ein Jahr
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler identifizierten insgesamt nur vier geeignete Studien, die einen Vergleich zwischen Analog- und Humaninsulin bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes anstellten. Alle vier untersuchten den Einsatz der Insuline in der intensivierten Spritzentherapie, nicht jedoch in der Pumpentherapie. Keine Studie verglich Insulin Glulisin mit Humaninsulin, auch eine Gegenüberstellung von Insulin Glulisin und Insulin Aspart fehlte. In den Studien wurden die jungen Patientinnen und Patienten zwischen 24 und 26 Wochen, in einem Fall 12 Monate untersucht. Studien mit mehrjähriger Laufzeit gibt es derzeit nicht.
Zusatznutzen ist aus Studien nicht ableitbar
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu dem vorläufigen Ergebnis, dass es für die kurzwirksamen Insulinanaloga keinen Beleg für einen Zusatznutzen gibt - und zwar sowohl im Vergleich zu Humaninsulin als auch im Vergleich untereinander. Daten lagen im Wesentlichen für die langfristige Blutzuckerkontrolle in Form des HbA1c-Werts und die Unterzuckerungen vor. Wertet man die Ergebnisse zu diesen beiden Aspekten aus, zeigte sich in den Studien jeweils kein Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Das gilt auch dann, wenn man den HbA1c-Wert und schwere Unterzuckerungen gemeinsam betrachtet.
Aufgrund der kurzen Studiendauer bleibt unklar, ob Insulinanaloga oder Humaninsulin diabetische Folgekomplikationen, wie etwa die Schädigung der Blutgefäße, besser vermindern oder vermeiden können.
Schadenspotenzial ebenfalls ungeklärt
Da geeignete mehrjährige Studien fehlen, sind auch keine Aussagen zum Schadenspotenzial der kurzwirksamen Insulinanaloga bei einer langfristigen Anwendung möglich. In den eingeschlossenen Kurzzeitstudien traten bei Patienten, die Insulinanaloga spritzten, aber auffällig häufiger schwerwiegende, zu einem Koma führende Stoffwechselentgleisungen (ketoazidotische Komata) auf. Die Daten waren aber angesichts der kurzen Beobachtungsdauer und der wenigen Studienteilnehmer nicht belastbar.
Messinstrumente nicht validiert
Auch zu Lebensqualität lassen die Studien keine Aussagen zu. Dieser Aspekt wurde in lediglich 2 Studien erhoben. Allerdings waren die Ergebnisse auch hier letztlich nicht interpretierbar, weil die verwendeten Messinstrumente entweder für Kinder- und Jugendliche offenkundig nicht geeignet sind oder unklar blieb, ob sie geeignet sind.
IQWiG fordert zusätzliche Studien
Obwohl zumindest zwei der derzeit drei Analogpräparate auch Kindern und Jugendlichen bereits seit über 10 Jahren verschrieben werden, gibt es kaum geeignete Studien. Aus Sicht des IQWiG und seiner externen Sachverständigen muss hier dringend Abhilfe geschaffen werden: Denn zum einen tritt Typ-1-Diabetes häufig bereits im Kindes- und Jugendalter auf, weshalb es besonders notwendig ist, die langfristige Behandlung zu untersuchen. Zum anderen durchlaufen diese jungen Patienten körperliche Entwicklungsstadien, in denen sich auch ihre Stoffwechsellage ändert. Und diese Veränderungen können auch die Effekte der Analoga beeinflussen.
Schließlich zeigt der Vorbericht erneut, wie wichtig eine gesetzliche Verpflichtung zur Publikation von Studienergebnissen ist: Obwohl die Studien zum Teil bereits vor fünf Jahren abgeschlossen wurden, sind sie aber bis heute nicht veröffentlicht und damit auch nicht allgemein zugänglich.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Zu diesem Vorbericht können bis zum 30. Juli 2009 schriftliche Stellungnahmen eingereicht werden. Das IQWiG wird diese sichten und würdigen. Sollten die Stellungnahmen nach Auffassung des IQWiG Fragen offen lassen und Diskussionsbedarf bestehen, wird eine mündliche Erörterung stattfinden. Danach wird der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht an den G-BA weitergeleitet.
Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Vorberichts gibt folgende Kurzfassung.
Kontakt: Tel. 0221-35685-0, info@iqwig.de