06.11.2008
Vorbericht zu Screening auf Sprachentwicklungsstörungen im Vorschulalter erschienen
Nutzen von Früherkennungsuntersuchungen aufgrund fehlender Daten nicht belegt / Institut mahnt Forschungsbedarf an.
Sprache ist ein zentrales Element des sozialen Lebens. Sie legt nicht nur die Basis für persönliche Beziehungen, sondern auch für berufliche Möglichkeiten. Wenn die sprachliche Entwicklung eines Kindes gestört ist, kann das also weitreichende Nachteile haben. Es wäre deshalb gut, wenn man solche Kinder sehr frühzeitig identifizieren könnte, die von einer gezielten Förderung profitieren würden.
Das deutsche Gesundheitssystem bietet schon heute die Möglichkeit, im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (sogenannte U-Untersuchungen) Kinder auf Entwicklungsrisiken untersuchen zu lassen. Wie die sprachlichen Fähigkeiten überprüft werden, ist allerdings nicht einheitlich geregelt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat daher das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, herauszufinden, ob eine flächendeckende frühe Untersuchung ("Screening") des Sprachentwicklungsstandes Kindern mit einer umschriebenen Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache (UESS) einen Nutzen bringt. Am 6. November 2008 hat das IQWiG die vorläufigen Ergebnisse vorgelegt. Damit beginnt eine Frist von 4 Wochen (4.12.2008), innerhalb derer interessierte Personen und Institutionen schriftliche Stellungnahmen abgeben können.
Keine Studie zum Screening auf umschriebene Sprachentwicklungsstörungen vorhanden
Die Autorinnen und Autoren des Vorberichts kommen dabei zu der vorläufigen Schlussfolgerung, dass die verfügbaren Studien zurzeit keine Belege für Nutzen oder Schaden eines Screenings liefern.
Studien, die speziell die Effekte eines frühen Sprachscreenings bei Kindern mit UESS untersuchen, fehlen ganz. Um die Frage zu beantworten, ob die notwendigen Voraussetzungen für ein Screeningprogramm in Deutschland erfüllt sind, bewerteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daher als Teilziele auch die bestehenden Diagnoseverfahren und Interventionen.
Diagnostische Verfahren nicht ausreichend validiert
Unter 15 deutschsprachigen Tests gab es keinen, für den die diagnostische Güte bezogen auf die Indikation umschriebene Sprachentwicklungsstörungen hinreichend untersucht ist. Eine umfassendere Validierung der Diagnose-Instrumente wäre also nötig - unter anderem auch um die Frage zu klären, wie hoch nach einem Screening die Zahl der zu erwartenden Folgeuntersuchungen bzw. Behandlungen wäre. Eine besondere Herausforderung bei der Diagnose ist es, bei sehr jungen Kindern eine mögliche Störung von einem normalen Entwicklungsverlauf abzugrenzen.
Einzelne Hinweis auf kurzfristige positive Effekte durch Therapie
Neben den diagnostischen Verfahren untersucht der Vorbericht auch den Nutzen möglicher Therapien. Insgesamt 16 randomisierte Studien konnten die Autorinnen und Autoren dazu identifizieren. Die Interpretation der Studienergebnisse gestaltete sich jedoch schwierig: Fast alle Studien waren anfällig für Verzerrungen. Sie waren außerdem sehr unterschiedlich, was die Art der Therapie, die Einschlusskriterien, den Schweregrad der Störung, die Intensität und die Dauer der Maßnahme betrifft.
Generell zeigten sich bei den Kindern, die eine Sprachtherapie erhielten, kurzfristige positive Effekte auf die sprachliche Entwicklung. Die Kinder, die an Interventionsprogrammen teilnahmen, verbesserten beispielsweise ihre Grammatik, bildeten komplexere Sätze, erweiterten ihren Wortschatz sowie das Laut- und Silbenrepertoire oder artikulierten präziser.
Kaum untersucht ist dagegen, ob diese Effekte langfristig bestehen bleiben und ob die Therapien sich auch positiv auswirken auf die Lebensqualität der Kinder, ihre psychosoziale und emotionale Entwicklung sowie auf den Schulerfolg. Ob die Behandlung möglicherweise auch unerwünschte Folgen hat, wurde in den Studien nicht untersucht.
Hinweise oder Belege dafür, dass die Therapien bei jüngeren Kindern einen höheren Nutzen haben als bei Älteren, liegen ebenfalls nicht vor. Die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt für eine sprachtherapeutische Behandlung lässt sich anhand der identifizierten Studien somit nicht beantworten.
Voraussetzungen für die Einführung eines Screeningprogramms nicht gegeben
Aus Sicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fehlen in Deutschland derzeit die methodischen Grundlagen, um ein flächendeckendes Screening auf UESS einzuführen. Vor einer Einführung in die Regelversorgung sind daher zunächst umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen notwendig. Forschungsbedarf gibt es zuerst für die Validierung eines Screeningtests (inklusive der weiteren Diagnostik). Erst danach wäre es möglich, in einer vergleichenden Studie die Auswirkungen eines solchen Screenings zu untersuchen. Notwendig ist es auch zu untersuchen, ob die möglicherweise vorhandenen therapeutischen Effekte auch längerfristig bestehen bleiben. Neben dem möglichen Nutzen, den ein Screening haben kann, muss dabei auch der mögliche Schaden berücksichtigt werden. Ein Schaden wäre beispielsweise, dass Kinder fälschlicherweise als "sprachgestört" diagnostiziert würden. Dies könnte die Eltern-Kind-Beziehung belasten oder eine zeitaufwendigen Therapie nach sich ziehen, von der die Kinder keinen Nutzen haben.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Den Berichtsplan in der vorläufigen Version 0.1 hatte das IQWiG Anfang Juli 2007 publiziert. Gleichzeitig bat das Institut um Stellungnahmen zu der dort dargelegten berichtsspezifischen Methodik. Die überarbeitete Version 1.0 des Berichtsplans wurde, zusammen mit den eingegangenen Kommentaren und einer Dokumentation der Erörterung, Mitte November 2007 veröffentlicht.
Die Stellungnahmen zum Vorbericht werden gesichtet und, sofern Fragen offen bleiben, mit den Autoren in einer mündlichen Erörterung diskutiert. Anschließend wird der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht an den Auftraggeber, den Gemeinsamen Bundesausschuss, weitergeleitet.
Kontakt: Tel. 0221-35685-0, info@iqwig.de