01.02.2006
IQWiG schätzt Zahl der Vioxx-Geschädigten in Deutschland auf 7092
Deutsche Verordnungsdaten auf Basis von Ergebnissen der VIGOR-Studie hochgerechnet
Durch Einnahme des Schmerzmittels Vioxx sind in Deutschland schätzungsweise 7092 Patienten erkrankt oder verstorben. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt veröffentlichte Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die Autoren haben auf Basis der Ergebnisse der so genannten VIGOR-Studie sowie deutscher Verordnungsdaten die Zahl möglicher Geschädigter geschätzt.
Im Jahr 2000 war der von der Firma Merck, Sharp & Dome (MSD) unter dem Handelsnamen Vioxx vertriebene Wirkstoff Refocoxib auch in Deutschland zugelassen und schnell in der Breite eingesetzt worden. Verschrieben wurde er vor allem zur Behandlung schmerzhafter Gelenkleiden wie Rheuma. Im September 2004 wurde Vioxx indes vom Markt genommen, nachdem eine Studie (APPROVe) gezeigt hatte, dass das Präparat Herzinfarkte, Thrombosen und Schlaganfälle verursachen kann.
Grundlage der aktuellen IQWiG-Berechnungen ist zum einen die VIGOR-Studie (Vioxx Gastrointestinal Outcomes Research), bei der man Vioxx an rund 8.000 Patienten mit einem anderen Schmerzmittel (Naproxen) verglichen und dabei auch die Zahl der unter beiden Medikamenten aufgetretenen unerwünschten Ereignisse ermittelt hatte. Herangezogen werden zum anderen deutsche Verordnungsdaten des Wissenschaftlichen Institutes der AOK (WIdO). Anhand der in Deutschland zwischen Januar 2001 und November 2004 verschriebenen Tagesdosen beider Medikamente errechnen die IQWiG-Wissenschaftler die Zahl der erwartungsgemäß unter Vioxx und unter Naproxen aufgetretenen Herzinfarkte und Schlaganfälle. Die Differenz zwischen diesen beiden Werten ergibt die erwartete Anzahl der durch Vioxx geschädigten Patienten von 7092. Diese Schätzung ist allerdings nur bedingt zuverlässig. Mit hoher Sicherheit liegt die tatsächliche Zahl der unmittelbar durch Vioxx Geschädigten zwischen 2.004 und 15.416.
Warnhinweise wurden ignoriert
"Wir haben sehr zurückhaltend geschätzt", kommentiert Institutsleiter Prof. Dr. med. Peter Sawicki das Ergebnis. So seien bei der VIGOR-Studie Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko weitgehend ausgeschlossen gewesen. Zudem wurde inzwischen bekannt, dass die Autoren drei Herzinfarkte unter Vioxx nicht berichtet hatten, was die Berechnungsgrundlage zu Gunsten von Vioxx beeinflusste. Ohnehin beziehen sich die IQWiG-Berechnungen nur auf die gesetzlich Versicherten. "Wenn wir davon ausgehen, dass die Privatversicherten eher häufiger mit dem relativ teuren neuen Medikament behandelt wurden, so dürfte die Zahl der potenziell Geschädigten wohl noch rund 20% höher liegen", so Sawicki.
Nach Meinung der Autoren zeige das Beispiel Vioxx einmal mehr, dass Nutzen und Schaden sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssten, bevor man ein neues Medikament massenhaft einsetze. Dazu müssten rechtzeitig verlässliche Studien gemacht und sowohl Ärzte als auch Patienten objektiv über deren Ergebnisse informiert werden. Die Autoren kritisieren außerdem, dass bei Vioxx frühzeitige Warnhinweise einzelner Wissenschaftler ignoriert worden waren. Dies gilt auch für die noch auf dem Markt befindlichen Coxibe. Eine kürzlich publizierte systematische Übersicht zeigt für das auf dem Markt befindliche Präparat Celebrex (Celecoxib) ein ähnlich hohes Gefährdungspotential hinsichtlich des Herzinfarktrisikos wie für Vioxx.
Die IQWiG-Studie ist erschienen in der Zeitschrift "Medizinische Klinik" Nr. 3, 2006: Peter T. Sawicki / Ralf Bender / Gisbert W. Selke / Jürgen Klauber / Sven Gutschmidt: Schätzung der unter Rofecoxib (Vioxx) in Deutschland in den Jahren 2001-2004 aufgetretenen kardio-und zerebrovaskulären Ereignisse
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