16.08.2022

Sehstörungen bei Kindern: Vorteile eines digitalen Sehtrainings nicht ausreichend belegt

Sehtraining etwa per Videounterstützung könnte die Sehschärfe des schwächeren Auges verbessern. Doch der nachgewiesene Effekt verbesserte die Sehleistungen der Betroffenen kaum. Bitte um Stellungnahmen bis zum 13.09.2022.

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersuchen derzeit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich unter der Federführung des Instituts für in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg die Frage, ob Kinder und Jugendliche mit entwicklungsbedingten Sehstörungen von einem aktiven Sehtraining profitieren können.

Vorläufiges Ergebnis: Anhand der vorliegenden Studien kann das Wissenschaftsteam keine eindeutige Aussage zum eines aktiven Sehtrainings bei Kindern und Jugendlichen mit Sehstörungen treffen. Zwar zeigen einzelne Studien, dass mit digitalem Training die Sehschärfe des schwächeren Auges etwa bei Kurz- und Weitsichtigkeit verbessert werden kann – der nachgewiesene war aber so klein, dass er die Sehleistungen der Betroffenen nur geringfügig verbesserte.

Zu diesem vorläufigen bittet das IQWiG nun bis zum 13.09.2022 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um eine Gesundheitstechnologie-Bewertung (engl. Health Technology Assessment = HTA) im Rahmen des IQWiG-Verfahrens ThemenCheck Medizin. Die Fragestellungen dieser HTA-Berichte gehen stets auf Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern zurück.

Anfrage einer Bürgerin war Ausgangspunkt des HTA-Berichts

Das scharfe und räumliche Sehen entwickelt sich bei Kindern bis zum vollendeten 9. Lebensjahr. Verschiedene Ursachen wie etwa Schielen oder Kurzsichtigkeit können dazu führen, dass sich das Sehen nicht richtig ausbilden kann. Augentraining soll die unterschiedlichen Teilbereiche des Sehens, wie Fixieren, Scharfstellen, Augenbewegungen und visuelle Wahrnehmung, durch gezieltes Üben fördern und so das Sehen insgesamt verbessern.

Die Mutter eines sehbeeinträchtigten Kindes, der vom Arzt ein Sehtraining über sechs bis zwölf Monate für ihr Kind empfohlen worden war, fragte im Rahmen des ThemenCheck Medizin, in welchen Situationen Kinder und Jugendliche mit Sehproblemen von einem Sehtraining profitieren können.

Hieraus entstand die Fragestellung des nun vorliegenden vorläufigen HTA-Berichts: Profitieren Kinder und Jugendliche von aktivem Sehtraining?

Effekt ist so gering, dass er die Sehleistung kaum verbessert

Das vom IQWiG beauftragte externe Wissenschaftsteam hat für seine Nutzenbewertung ausschließlich Studien zur Untersuchung der Wirkung von digitalem Sehtraining bei Schwachsichtigkeit (Amblyopie) identifiziert. Dabei standen solche Trainings im Vordergrund, die ein mehrwöchiges digitales Sehtrainingsangebot (meist per Video) im Wohnumfeld der betroffenen Kinder vorsehen. Zum von analogen Sehtrainings (ohne PC-Unterstützung) lagen keine verwertbaren Studienergebnisse vor.

Für das Kriterium „bestkorrigierte Sehschärfe des schwächer sehenden Auges“ fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einzelnen Studien zwar einen Vorteil zugunsten des digitalen Sehtrainings im Vergleich zu keinem Training, einem Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung (= Abkleben des stärkeren Auges) – die gemessenen Sehschärfen-Unterschiede bei diesen Vergleichen waren aber so gering, dass sie die Sehleistungen der Betroffenen kaum verbesserten.

Für das Kriterium „räumliches Sehen“ zeigte keine Studie einen Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen des digitalen Trainings – weder im Vergleich zu keinem Training, noch zum Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung.

Auch die oft mangelnde Therapietreue der Kinder und Jugendlichen und die in den Studien oft zu kurze Beobachtungszeit (nur einige Wochen statt über die eigentlich notwendige langjährige Behandlungsdauer) führen dazu, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit keine Aussage zum Nutzen des aktiven Sehtrainings bei Kindern und Jugendlichen mit Amblyopie treffen können.

Das IQWiG bittet um Stellungnahmen

Zu dem nun vorliegenden vorläufigen bittet das IQWiG bis zum 13.09.2022 um Stellungnahmen. Alle interessierten Personen, Institutionen und (Fach-)Gesellschaften können Stellungnahmen abgeben. Gegebenenfalls führt das IQWiG eine wissenschaftliche Erörterung zur Klärung von weitergehenden Fragen aus den schriftlichen Stellungnahmen durch. Die Ergebnisse aus der können zu Änderungen und/oder Ergänzungen des vorläufigen HTA-Berichts führen.

Die HTA-Berichte im Rahmen des ThemenCheck Medizin werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung (HTA kompakt) und einem IQWiG-Herausgeberkommentar veröffentlicht.

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