1. Was sind nicht medikamentöse Verfahren?
Die Gruppe der nicht medikamentösen Verfahren bzw. Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die im IQWiG bewertet werden, umfasst eine große Bandbreite medizinischer Anwendungen und Interventionen. Lediglich Arzneimittel als alleinstehende Maßnahme zählen nicht dazu, auch wenn sie bei einigen Methoden durchaus Teil des Verfahrens sein können. Lifestyle-Anwendungen wie etwa Fitnesstrainings, kosmetische Chirurgie oder bestimmte Massagen gehören ebenfalls nicht in diese Kategorie, weil sie nicht primär medizinischen Zwecken dienen. Medizinprodukte sind hingegen häufig Teil solcher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.
Nicht medikamentöse Verfahren sind außer in der Therapie auch in der Diagnostik, der Früherkennung und der Prävention zu finden. Eingesetzt werden sie sowohl bei der stationären Behandlung in Kliniken als auch in der ambulanten Versorgung in ärztlichen, psychotherapeutischen, physiotherapeutischen oder logopädischen Praxen.
Die Spannbreite der innerhalb dieser Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eingesetzten Medizinprodukte reicht von einfachen, kostengünstigen Verbrauchsmitteln wie Pflastern, Verbänden oder Spritzen über Gehhilfen oder Zahnersatz bis zu Großgeräten mit Investitionskosten im Millionenbereich wie OP-Robotern oder Magnetresonanztomografen (MRT). Zu den nicht medikamentösen Verfahren zählen aber auch Behandlungsmethoden, die ohne Produkte auskommen, beispielsweise in der Psychotherapie. In der Diagnostik und dem Screening sind Hör- und Sehtests ebenso eingeschlossen wie bildgebende Verfahren, um Darmkrebs aufzuspüren, Ultraschall in der Schwangerschaft oder auch genetische Tests auf Marker für Brustkrebs oder Trisomie 21.
Diese Vielfalt der Interventionen deckt ein breites Spektrum an Risikoklassen ab. Während etwa ein außerhalb des Körpers anzuwendendes Pulsoxymeter zur Bestimmung der Sauerstoffsättigung des Blutes mit keinem unmittelbaren Risiko für die Patientin oder den Patienten verbunden ist, sieht das bei Verfahren, bei denen ein Produkt im Körper verbleibt, wie etwa künstliche Gelenke oder künstliche Herzklappen, schon ganz anders aus.
Herausforderungen für die Bewertung
Für die Bewertung von Wirksamkeit, Nutzen und Schaden stellt die Vielfalt der Methoden eine besondere Herausforderung dar.
Ein grundlegender Unterschied zu Arzneimitteln besteht schon in den Verfahren zur Prüfung von Nutzen und Risiken. Während Arzneimittel in einem klar geregelten Procedere erst für die Zulassung ihre Wirksamkeit und dann für den Erstattungsbetrag in der gesetzlichen Krankenversicherung ihren Zusatznutzen beweisen müssen (siehe „Themen im Fokus: Neue Arzneimittel: Zulassung, Nutzenbewertung, Erstattung“), gibt es einen solchen einfachen festgelegten Weg bei den nicht medikamentösen Verfahren nicht.
Genauso wie es eine Vielfalt der nicht medikamentösen Verfahren gibt, gibt es eine Vielfalt der Bewertungswege und Zugänge ins Gesundheitssystem. So müssen beispielsweise neue Medizinprodukte zertifiziert werden, neue Psychotherapieverfahren aber nicht.
In der stationären Behandlung in Krankenhäusern können fast alle neuen Methoden auf der Grundlage des sogenannten NUB-Verfahrens („Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“) sehr rasch eingeführt und zulasten der gesetzlichen Krankenkassen eingesetzt werden, ohne dass ein (Zusatz-)Nutzen nachgewiesen werden muss. Eine Bewertung muss für Methoden der Krankenhausbehandlung nur dann durchgeführt werden, wenn die Methode besonders invasiv, gänzlich neu und teuer ist und auf der Anwendung eines Medizinprodukts beruht. Neue ambulante Behandlungsmethoden, die etwa in Arztpraxen eingesetzt werden, müssen hingegen immer einen belegbaren Nutzen haben, bevor die Krankenkassen die Kosten übernehmen.
Auch das Überprüfen von Wirksamkeit, Nutzen und Schaden ist bei nicht medikamentösen Verfahren mit einigen Besonderheiten verbunden. So können diese Parameter stark von der Erfahrung des Anwenders abhängen. Ein Röntgenbild kann oft nur dann die Behandlung verbessern, wenn eine qualifizierte und trainierte Person das Bild auswertet.
Ein Verblinden ist in Studien zu nicht medikamentösen Verfahren häufig nicht möglich, wodurch die Bewertung einer Methode erschwert wird. So wissen beim Vergleich zwischen Operation und Nicht-Operation in einer Studie Patientinnen und Patienten sowie das Krankenhauspersonal fast immer, welche Behandlung durchgeführt wurde, und könnten dann dazu neigen, der Operation ein besseres Ergebnis zuzuschreiben.
Eine Besonderheit stellt zudem die Bewertung diagnostischer Verfahren dar: Sie rufen bei der Patientin oder dem Patienten keine direkte positive gesundheitliche Wirkung hervor, wie es Arzneimittel tun können. Daher müssen bei deren Betrachtung auch die anschließenden Therapien in eine Bewertung mit einbezogen werden. Zwar kann ein Labortest einen Herzinfarkt nachweisen, aber die Patientin oder der Patient profitiert hiervon erst dann, wenn der Herzinfarkt nach der Diagnose auch therapiert werden kann und dies zu besseren Ergebnissen führt.
Eine Abgrenzung einzelner Methoden ist zudem nicht immer einfach, was einen Einfluss darauf hat, ob eine Methode überhaupt bewertet wird. Da nur wirklich neue Methoden bewertet werden, stellt sich immer die Frage, ob es sich bei einem „neuen Verfahren” tatsächlich um eine echte Neuheit handelt (Fachleute sprechen von einer Sprunginnovation) oder eine vergleichsweise geringfügige Verbesserung vorgenommen wurde (Fachleute sprechen von einer Schrittinnovation), für die eine eigene Bewertung womöglich gar nicht erforderlich ist.
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