2. Wann und wie überprüft das IQWiG nicht medikamentöse Verfahren?
Es gibt mehrere Wege, die zu einer Bewertung nicht medikamentöser Verfahren durch das IQWiG führen. Am Ende dieser Prozesse entscheidet jeweils der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ob und unter welchen Bedingungen die Kosten für die untersuchte Methode von den gesetzlichen Krankenkassen (weiterhin) übernommen werden.
Dabei ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass in der stationären Behandlung der Krankenhäuser die allermeisten Verfahren ohne jegliche Prüfung eingesetzt und zulasten der Krankenkassen abgerechnet werden können, wohingegen im ambulanten Bereich der Arztpraxen die Kosten erst nach einer entsprechenden Nutzenbewertung durch das IQWiG übernommen werden.
Welche Pfade zu einer Methodenbewertung des IQWiG führen
Es gibt im Wesentlichen vier Pfade, auf denen die Bewertung eines nicht medikamentösen Verfahrens durch das IQWiG in Gang gesetzt wird:
Neue Behandlungsmethoden im ambulanten Bereich (Arztpraxen etc.) müssen grundsätzlich überprüft werden, bevor sie von den Krankenkassen regelhaft bezahlt werden. Im G-BA kann ein Antrag auf Bewertung einer Methode nur von den G-BA-Mitgliedern gestellt werden (also zum Beispiel von den Krankenkassen, nicht aber vom Hersteller). Hersteller von Medizinprodukten können eine Bewertung jedoch indirekt herbeiführen, indem sie zum Beispiel einen Antrag auf Erprobung stellen (siehe Weg 4). So hatte z. B. der Hersteller eines nicht invasiven Pränataltests eine Erprobung beantragt, woraufhin der G-BA erkannte, dass die Datenlage gar keine Erprobungsstudie erforderte, sondern für eine Einführung dieser Methode bereits ausreichte (mehr erfahren unter g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/810). Eine weitere Möglichkeit ist ein Antrag des Herstellers zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis, sodass der G-BA im Falle einer wirklich neuen Methode eine Methodenbewertung starten muss.
Existierende Krankenhaus-Behandlungsmethoden werden überprüft, wenn ein Schaden oder auch das Ausbleiben eines Nutzens einer Methode erkennbar wird. Dies ist jedoch nur selten der Fall. Ein Beispiel hierfür ist die Arthroskopie bei Kniegelenksarthrose. Diese Therapie wurde früher häufig in Deutschland durchgeführt bis Studien zeigten, dass die Arthroskopie lediglich einen Placebo-Effekt erzeugt (siehe Projekt N11-01: Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose). Heute wird diese Methode nicht mehr von den Krankenkassen erstattet.
Neue stationäre Behandlungsmethoden müssen nur in wenigen Fällen überprüft werden. Denn grundsätzlich ist es gewollt, dass neue Methoden schnell im Krankenhaus verfügbar sind. Geprüft wird eine Methode nur, wenn sie
- ein Medizinprodukt umfasst,
- besonders invasiv ist,
- wirklich neu ist (Sprunginnovation) und
- relevant höhere Kosten erzeugt.
Ein Beispiel für einen solchen Fall ist eine Methode, bei der schleimbildende Zellen in den Bronchien elektrisch abgetötet werden, um die Symptome einer chronischen Bronchitis zu lindern (siehe Projekt H20-03: Irreversible Elektroporation bei chronischer Bronchitis).
Sofern anhand der von Krankenhaus und Hersteller vorgelegten Unterlagen weder Schädlichkeit noch Unwirksamkeit explizit erkennbar sind, darf die neue Hochrisiko-Methode im Krankenhaus erbracht werden. Wenn auch der Nutzen fraglich ist – was oft der Fall ist –, bereiten IQWiG und G-BA die Grundlagen für eine Studie vor. Insgesamt erlaubt dieses Vorgehen zwar, dass neue, innovative Methoden schneller als in anderen Ländern für die Behandlung verfügbar sind, zugleich führt dies aber auch dazu, dass in Krankenhäusern neue Verfahren eingesetzt werden können, deren Nutzen fraglich ist.
Erprobungen neuer Verfahren können vor allem Medizinproduktehersteller ambulanter Gesundheitsanwendungen, aber auch Anwender im stationären Bereich beantragen. Dieser nicht öffentliche Verfahrensweg wird beschritten, wenn es für eine Methode noch keine ausreichenden Nutzenbelege gibt, das Potenzial als Behandlungsalternative aber erkennbar ist. Ob eine Methode ein Potenzial erkennen lässt, erarbeitet das IQWiG in einer Potenzialbewertung. Beispielsweise wurde geprüft, ob schlecht heilende Knochenbrüche mit elektromagnetischen Feldern doch noch zur Heilung gebracht werden können (siehe Projekt E17-08: Pulsierende elektromagnetische Felder bei Knochenheilungsstörungen). Hierzu soll eine Studie aufgelegt werden.
Führen die Pfade 1 bis 3 zu einem Nachweis eines Nutzens der Behandlungsmethode, wird das Verfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, das heißt die Kosten für eine Behandlung mit diesem Verfahren werden erstattet.
Wird im Zuge der Bewertung zwar kein Nutzen aber ein Potenzial erkannt, kann die Methode auch auf den Pfaden 1 bis 3 in die Erprobung gelangen (analog zu Pfad 4). Die Erprobung erfolgt in Form von Studien und soll die Erkenntnisse erbringen, die zur Bewertung des Nutzens erforderlich sind. Oft macht das IQWiG im Rahmen seiner Bewertung einen ersten Vorschlag zum Design einer Erprobungsstudie. Die Kosten für eine ambulante Methode im Rahmen einer Erprobungsstudie werden für die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erstattet. Wird im Ausland bereits eine hochwertige Studie durchgeführt, führt der G-BA keine eigene Studie durch, sondern wartet die Ergebnisse dieser Studie ab. Am Ende der Erprobung entscheidet der G-BA über Nutzen und Kostenerstattung der Methode.
Ist für eine Behandlungsmethode indes nicht einmal ein Potenzial erkennbar, gelangt sie auch nicht in die Erprobung. In diesem Fall wird die Methode nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, d. h. die Kosten für eine Behandlung mit diesem Verfahren werden nicht bzw. nicht mehr erstattet.
Während die beschriebenen Verfahren für alle gesetzlichen Krankenkassen und Versicherten Gültigkeit besitzen, hat jede Krankenkasse daneben auch gewisse Möglichkeiten, bestimmte Leistungen separat anzubieten (sogenannte Satzungsleistungen). So beteiligen sich manche Krankenkassen z. B. an den Kosten einer osteopathischen Behandlung. Auch über Modellvorhaben und regionale Selektivverträge können manche Leistungen probeweise angeboten werden, beispielsweise das Telemonitoring von Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche.
Wie werden Verfahren konkret auf Nutzen oder Schaden und Potenzial überprüft?
Das IQWiG erhält den Auftrag zu einer Nutzen- bzw. Potenzialbewertung vom G-BA. Dabei wird als „ Nutzen” in der Regel ein Zusatznutzen im Vergleich zum Nutzen einer bereits eingesetzten Methode im Rahmen der etablierten Versorgungspraxis betrachtet. Fällt der Nutzen hingegen geringer aus, wäre dies bereits ein Schaden. Der Bearbeitungsprozess im IQWiG erstreckt sich über maximal ein Jahr für eine Nutzenbewertung für die Pfade 1 und 2, sechs Wochen für den Pfad 3 und sechs Wochen für eine Potenzialbewertung (Pfad 4). Die jeweilige Dauer ist gesetzlich vorgeschrieben und hängt mit den Entscheidungszeiträumen des G-BA zusammen.
Pfade 1 (neue ambulante Methode) und 2 (existierende stationäre Methode)
Für die Nutzenbewertung für die Pfade 1 und 2 durch das IQWiG werden zunächst die entscheidenden Parameter definiert: Was gehört zur Behandlungsmethode? Was wird als Vergleichsmethode bzw. Standardbehandlung akzeptiert? Welche Patientinnen und Patienten werden damit behandelt und sollten daher in einer Studie berücksichtigt werden? Welche Ziele will man als Patientin oder Patient mit der Behandlung erreichen?
Viele dieser Fragen werden erst nach ausführlichen Gesprächen mit Betroffenen entschieden, denn als Nutzen betrachtet das IQWiG nur direkte Parameter, die die Patientinnen und Patienten selbst erfahren bzw. spüren. Dazu zählen Endpunkte wie die Mortalität (Sterblichkeit), die Morbidität (konkrete Krankheitssymptome oder Körperfunktionen, die sich spürbar verändern) und die Lebensqualität.
Andere, indirekte Parameter, die auch als Ersatz- oder Surrogatparameter bezeichnet werden, zieht das IQWiG für die Bewertung des Nutzens oder des Schadens in der Regel nicht in Betracht. Dazu zählen Laborbefunde (z. B. der Cholesterinwert), Bildbefunde (z. B. Röntgenaufnahmen) oder physiologische Parameter (z. B. Blutdruck).
Sind die relevanten Parameter festgelegt, veröffentlicht das IQWiG einen Berichtsplan, der das Vorgehen der Bewertung und die zu untersuchenden Parameter transparent macht.
Nun beginnt die Suche nach medizinischen Studien, die Antworten auf die Fragen zu Nutzen und Schaden einer Methode liefern können. Dazu recherchieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IQWiG in Literaturdatenbanken wie PubMed oder der Cochrane Library und fragen die Hersteller nach eigenen Studien und Daten. Dabei achtet das IQWIG darauf, dass die Herstellerdaten vollständig sind und später auch veröffentlicht werden dürfen.
Um fundierte Aussagen über Nutzen und Risiken einer Behandlungsmethode machen zu können, präferiert das IQWiG einen ganz bestimmten Typus von Studien, sogenannte randomisiert-kontrollierte Studien. Diese können am besten kausale Zusammenhänge belegen. Indes sind sie oft aufwändiger durchzuführen als andere Studiendesigns, daher verweisen Hersteller gerne auch auf nicht randomisierte oder nicht kontrollierte Studien, sogenannte Beobachtungsstudien, die in ihrer Aussagekraft jedoch eingeschränkt sind.
Aus dem Pool relevanter Studien – wenn es sie denn gibt – werden die Daten extrahiert und mittels statistischer Verfahren zusammengefasst. Die Ergebnisse dieser Auswertungen beschreibt das IQWiG unter Einbindung klinischer Expertinnen und Experten in einem Vorbericht, in dem bereits ein erstes positives oder negatives Fazit zur bewerteten Behandlungsmethode enthalten ist.
Zu den Ergebnissen und dem Fazit dieses Vorberichts können nun alle Interessierten, wie etwa Hersteller oder ärztliche Fachgesellschaften, Stellungnahmen abgeben. So kann eine Diskussion über offene und strittige Punkte, Besonderheiten einer Methode sowie mögliche Missverständnisse entstehen, um diese auszuräumen.
Die Ergebnisse dieser Diskussion werden soweit möglich in den Bericht eingearbeitet und als Abschlussbericht veröffentlicht. Auf Grundlage dieser IQWiG-Bewertung entscheidet der G-BA schließlich, ob die Kosten einer Methode künftig zulasten der gesetzlichen Krankenkassen gehen oder nicht bzw. ob ein Potenzial erkennbar ist, sodass eine Erprobung sinnvoll erscheint.
Pfad 3 (neue stationäre Methode)
Die Bewertung von Hochrisiko-Medizinprodukten (Pfad 3) erstreckt sich nur über maximal sechs Wochen. Dabei geht es um die Prüfung, ob der Nutzen, die Schädlichkeit oder die Unwirksamkeit einer Methode als belegt anzusehen ist. Sie erfolgt auf Grundlage von Antragsunterlagen eines Krankenhauses („Dossier“), die im Einvernehmen mit dem Hersteller anzufertigen sind. Die Bewertungsergebnisse werden veröffentlicht.
Pfad 4 (Erprobung)
Wurde für eine Untersuchungsmethode statt einer Nutzenbewertung nur eine Potenzialbewertung beantragt (Pfad 4), erfolgt die Bewertung durch das IQWiG ebenfalls auf der Grundlage der Daten und Materialien, die ein Hersteller liefert. Dafür hat das Institut in der Regel ebenfalls sechs Wochen Zeit. Ist auf dieser Grundlage kein Potenzial erkennbar, kommt es nicht zu einer Erprobung. In diesem Fall gibt es keinen öffentlichen Bericht und die Untersuchungsmethode bleibt geheim. Der Hersteller kann frühestens ein Jahr nach der Ablehnung einen neuen Antrag auf Erprobung stellen.
Die Bewertung nicht medikamentöser Verfahren
1. Was sind nicht medikamentöse Verfahren?
2. Wann und wie überprüft das IQWiG nicht medikamentöse Verfahren?
3. Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Überprüfung nicht medikamentöser Verfahren?